Startseite » Dazugehören – Come as you are

Dazugehören – Come as you are

Wer möchte nicht gerne dazugehören? Wir sind soziale Wesen und historisch waren Menschen, die nicht Teil der Gruppe waren, in Todesgefahr. Zum Glück werden wir heute nicht mehr für „vogelfrei“ erklärt, allerdings strengen sich schon Kinder oft an, um von ihren Familien oder Gleichaltrigen akzeptiert zu werden.

Iris Wangermann ruft in ihrer Blogparade dazu auf, über unsere eigenen Erfahrungen mit dem Dazugehören zu erzählen. Ein Thema, das natürlich auch mich mein Leben lang begleitet.

Mein Inneres Team

Ein Teil in mir ist ein Chamäleon. Sie passt ihr Vokabular und ihren Tonfall an die jeweilige Gruppe an und nickt alles Mögliche ab. Es ist ihr wichtig, nicht durch Befindlichkeiten die Stimmung runter zu ziehen oder Entscheidungsprozesse aufzuhalten. Umgekehrt ist sie genervt von Komplikationen durch andere.

Ein anderer Teil in mir legt großen Wert darauf, sich nicht ohne guten Grund für Mitmenschen zu ändern. Sie hat kein Interesse an modischen Trends, an Smalltalk, an dem was „alle“ machen. Für sie besteht vieles in der gesellschaftlichen und politischen Debatte aus Schildbürgergeschichten. Wenn sie Werbung sieht, besonders in sozialen Medien, bekommt sie von den vorhersehbaren Manipulationsversuchen schlechte Laune.

dazugehören: ein bunter gehäkelter Ikosaeder mit zwei beinen und zwei Armen

Ich bin wirklich gerne unter Menschen, allerdings am liebsten für mich. Besonders in der ersten Shutdownzeit 2020 habe ich das gemerkt. Seitdem bin ich nicht wieder zum gleichen Level an Interaktion mit anderen Menschen zurückgekehrt.

Dieser Widerspruch ist eine mittelgute Voraussetzung für das Dazugehören. Auf der anderen Seite habe ich früh gelernt, dass ich relativ gut damit leben kann, wenn eine Gruppe mich nicht akzeptiert. Relativ gut deswegen, weil es sehr von der Art Gruppe abhängt.

Anpassen oder Dazugehören

Was macht das Dazugehören so oft so schwierig? Vor ein paar Tagen lief mir folgendes Zitat über den Weg:

Fitting in is about assessing a situation and becoming who you need to be to be accepted. Belonging, on the other hand, doesn’t require us to change who we are; it requires us to be who we are.”

Brené Brown

Wenn wir uns zu sehr von unserem eigenen inneren Kern entfernen, dann ist das Ergebnis kein Dazugehören. Dann bin ich diese dazugehörende Person nicht mehr. Das ist dann eine mehr oder weniger künstliche Figur, die einigermaßen aussieht und klingt wie ich.

Ein bisschen Anpassung ist notwendig, damit wir nicht im gesellschaftlichen Chaos und in Konflikten versinken. Kompromisse sind auch keine Katastrophe, solange ich mich noch wieder erkenne. Allerdings alles in Maßen.

Curt Cobains Widersprüche

Die Anpassung an Gruppenansprüche hat noch einen weiteren Haken. In „Come As You Are“ singen Nirvana über sich widersprechende Forderungen. „Komm wie du bist, wie ich dich haben möchte“ und „Nimm dir Zeit, sei nicht zu spät“.

“The lines in the song are really contradictory. One after another they are kind of a rebuttal to each line. It’s kind of confusing I guess. It’s just about people and what they are expected to act like.”

Curt Cobain

Gerade Frauen kennen diese Ansprüche, die nicht erfüllbar sind. Auch America Ferreras Rede in Barbie hat diese unerreichbare Meßlatte thematisiert. Dieses Nichtdazugehören von Frauen ist nochmal ein extra Thema für sich, das aktuell im Fall von Imane Khelif eskalierte.

dazugehören: eine Frau und eine Katze vor einem geöffneten Dachfenster. Die katze sitzt auf dem Sims und schaut nach draußen, die Frau schaut auf die Katze
Childless Cat Lady 😉

Gibt es also das versprochene „Come As You Are“ wirklich nicht? Wie lässt es wenigstens ungefähr erreichen?

Familie

Die erste Gruppe, in die wir möglichst gut hinein passen sollten, ist die Familie. Meine frühen Erinnerungen und Erzählungen über meine Kindheit erzählen mir, wie ich mit meinen Eigenarten manchmal angeeckt bin und wie ich mich bemüht habe, auch gesehen zu werden. Als zweite Enkelin kam ich mit Schnupfnase bei meiner Oma angelaufen und sagte „Auch liebes Kind!“ Wie sie darauf regiert hat, weiß ich tatsächlich gar nicht.

Gleichzeitig haben mir meine Eltern vorgelebt, dass es möglich und bereichernd ist, unorthodox zu sein und nicht alles mitzumachen, was die Mehrheit für wichtig hält.

Wenn es mal größere Familientreffen gibt, habe ich immer unterschwellig ein warmes Gefühl der Verwandtschaft, ohne dass ich das in Worte fassen kann. Offensichtlich wurde meine widersprüchliche Haltung zum Dazugehören schon früh angelegt.

Zufällige Schicksalsgemeinschaften

In Kindergarten und Schule habe ich viel mein eigenes Ding gemacht. Ich war das Kind, das sich in der Grundschule „Robinson Crusoe“ mitbrachte und dem Lehrer sagte, ich würde das dann jetzt lesen, er könne sich ja melden, wenn er etwas Interessantes hätte.

Die anderen Kinder habe ich eher am Rand wahrgenommen. Für mich lief es ideal, wenn mich niemand geärgert hat. Auch als Lehrerin habe ich später etwas befremdet beobachtet, wie sich sehr manche Kinder und Jugendliche verrenken, nur um dazuzugehören. Ich hatte Freundinnen, aber im Rückblick haben sie eher mich untergehakt, als dass ich bewusst auf sie zugegangen wäre.

Später im Studium war ich von Menschen umgeben, die ähnlich tickten wie ich. Wir alle hatten Chemie als Fach gewählt. Dadurch war eine gewisse nerdige Tendenz vorgegeben. Auch von meinen Kommilitoninnen bin ich eher als Freundin aufgesammelt worden, als dass ich das angezettelt hätte. Trotzdem habe ich mich mit dieser Gruppe viel mehr verbunden gefühlt und auch mehr Interesse am Miteinander gehabt.

Selbst gewählte Gemeinschaften

Eigentlich nicht überraschend: Beim Dazugehören hilft es, sich Gruppen zu suchen, mit denen ich eine große Schnittmenge habe. Dann ist es eine echte Erleichterung, mich nicht erklären zu müssen. Wenn sich die richtigen Personen begegnen und in Resonanz treten, stellt sich die Frage nach der Selbstentfremdung gar nicht mehr.

Das Internet macht es leicht, Menschen mit der gleichen Sorte Merkwürdigkeit zu finden, die nicht alle am selben Ort leben müssen. In den späten Neunzigern war ich Mitglied einer spirituellen deutschsprachigen Mailingliste. Zu Beginn lebte ich noch in London, später wieder in Deutschland, sodass ich leichter an jährlichen Treffen teilnehmen konnte. Der Austausch über das gemeinsame Thema war bereichernd und hatte nie das Gefühl, ich müsse mich verstellen. Ich glaube, dass mir der räumliche Abstand zunächst sogar geholfen hat, in diese Gruppe hineinzufinden.

Im Spätsommer 2017 begann ich, bei Challenge22 als Mentorin mitzuarbeiten. Das vegane Leben zieht noch mehr als das Frauenspirithema eine bunte Mischung an ungewöhnlichen Menschen an. Diese Gemeinschaft ist international, offen und hilfsbereit. Weil alle im besten Sinne des Wortes irgendwie weird oder seltsam sind, muss sich niemand rechtfertigen.

Anfang 2018 fand ich die Active Vegans Hamburg. Mit ihnen stehe ich im realen Leben regelmäßig auf der Straße, um mit den Menschen, die stehen bleiben, über Tierrechte zu sprechen.

AVHH hat mich vor Ort abgeholt und mir geholfen, mehr Selbstwirksamkeit zu entwickeln. Diese Menschen gaben mir den Impuls, auch an Demos von Fridays For Future teilzunehmen. Das Dazugehören hat mich in diesem Fall auf eine konstruktive Art verändert. Oder vielleicht etwas hervor geholt, was schon in mir angelegt war.

Bei aller Übereinstimmung ist natürlich immer irgendwas. Zu erwarten, dass es in einer Gemeinschaft nicht menschelt, nur weil die Mitglieder einen großen Teil ihrer Werte und Visionen teilen, ist illusorisch.

Und solange es ein echter Kompromiss ist, ich also anderen ihre Eigenheiten zugestehe und sie mir meine, kann ich gut damit leben. Ich habe mir die Mitgliedschaft ja auch freiwillig ausgesucht.

Endlich wieder normale Leute

Wenn es einen Ort gibt, der für mich dem Ideal „Come As You Are“ am nächsten kommt, dann ist es das Wacken Open Air. Auch hier gibt es Kommentare über das vermeintlich „falsche“ Genre 😀 Die einen fassen sich an den Kopf, wie jemand Powermetal ertragen kann, die anderen sehen in jeder modernen Entwicklung den Niedergang der Metalkultur.

Und gleichzeitig habe ich nirgends so sehr das Gefühl, ich selbst sein zu können, ohne dass es gewertet wird. Die Unterschiede können nebeneinander stehen bleiben und am Ende wird auch mal für eine Band höflich applaudiert, die eigentlich nur die Lücke zwischen zwei „wirklich interessanten“ Acts füllt.

Stau beim WOA

Die Welt ist per du, kommt ins Gespräch und akzeptiert es, wenn jemandem nicht zum Reden zumute ist. Wer fällt, wird aufgehoben. Wenn die Sterne gut stehen, hat sich jemand neben mir die Taschen für die besonders mitreißenden Konzertmomente mit Konfetti gefüllt (siehe Beitragsbild).

Und wenn sich jemand nachts barfuß auf dem Campingplatz verlaufen hat, finden sich immer nette Menschen, die beim Suchen helfen. Egal, ob die verlorene Seele ein Einhornkostüm, ein Hawaiihemd, ein Metalcore- oder ein Death-Metal-Shirt trägt.

Die Überschrift „Endlich wieder normale Leute“ steht immer mal wieder auf Bannern die im Zusammenhang mit Wacken-Veranstaltungen von Teilnehmenden aufgehängt werden. Ich bin bei weitem nicht die Einzige, die es erleichtert, für ein paar Tage im Jahr einen Ort zu haben, wo sie sein kann, wie sie ist. Und wo „normal“ nicht „normiert“ bedeutet, sondern „Menschen, die mir ähnlich sind und einfach nur einen gelassenen und freundlichen Umgang untereinander erwarten“.

Beziehungsstatus: Unkompliziert

Im Mai haben wir Silberhochzeit gefeiert. Zu zweit am Meer, ein paar Tage nur für uns und eine schöne Gelegenheit über Beziehungen nachzudenken. Neben dem glücklichen Zufall, der uns zusammenführte, ist die Grundlage unserer Harmonie, dass wir uns gegenseitig so lassen, wie wir sind.

Nahaufnahme von einem Herz, mit dem Finger in feuchten Sandboden geschrieben. Im Herz die Zahl 25 und die Buchstaben D und A, außerdem ein paar Muscheln.

Wir haben große Übereinstimmungen, was Freizeitgestaltung, grundsätzliche Werte und Ordnungsbedürfnis angeht. In anderen Bereichen sind wir sehr verschieden. Und das haben wir nie versucht zu ändern. Wenn wir nicht mit diesen Unterschieden leben könnten oder sie nicht sogar als bereichernd empfänden, dann hätten gegenseitige Vorwürfe die Beziehung sicher nicht voran gebracht.

Unsere Gemeinschaft zu zweit plus Katze ist mein sicherer Hafen. Hier kann ich loslassen. Ich kann alles sagen was mir auf der Seele liegt und für mich behalten, was ich nicht mitteilen möchte. Ich bin jeden Tag dankbar für dieses alles andere als selbstverständliche Geschenk.

Jenseits der Gesellschaft Dazugehören

Wir sprechen vom Ökosystem Erde oft als „Umwelt“. Dabei vergessen wir, dass wir immer und unzweifelhaft Bestandteil dieses Systems sind. Hier gehören wir tatsächlich elementar dazu, ob wir uns anpassen oder nicht.

Gerade hier führt paradoxerweise das Nichtanpassen an die Kreisläufe und Naturgesetze, dass wir entfremdet sind. Wenn es in einem Netzwerk existenziell wichtig ist, nicht nur auf die eigenen Vorstellungen zu sehen, dann in diesem.

Und gerade hier fühle ich mich noch mehr als in Wacken jederzeit bedingungslos willkommen, und das mehr als nur eine Woche im Jahr. Hier kann ich auftanken und über mich und die Welt lernen, was wirklich wichtig ist. Vielleicht auch, wo meine gefühlten Prioritäten manchmal doch am Großen Ganzen vorbei gehen und was davon ich loslassen könnte.

Deshalb ist es mir so wichtig, den Jahreszeiten bewusst zu folgen und mich in regelmäßigen Abständen mit der Natur in Verbindung zu bringen.

Was kann ich zum Dazugehören beitragen?

Wie sieht jetzt mein Fazit aus? Es gibt ein paar Dinge, die ich beachten kann, um das Dazugehören zur Gesellschaft und zur Welt gesund und nachhaltig zu gestalten:

Ich lerne mich selbst, meine Prioritäten, Bedürfnisse und Werte kennen.

… finde für mich heraus, wie viel Zugehörigkeit und wie viel Zeit mit mir alleine ich brauche.

… lasse meine Seltsamheit strahlen, um andere Menschen zu finden, die mir ähnlich sind.

… wäge gründlich ab, wie viel mir das Dazugehören wert ist und warum und um wie viel ich mich dafür verändern will.

… gestehe anderen Menschen zu, ihr grundsätzliches Wesen nicht für mich zu verändern.

Wenn ich Teil von Schicksalsgemeinschaften bin, in denen ich mich sehr anpassen musst, schaffe ich mir Räume mit anderen Menschen, die mich so aufnehmen, wie ich bin, außerdem Zeit mit mir alleine.

Wenn alle Stricke reißen, gibt es immer noch Bäume zum Anlehnen, das Meer zum Lauschen und Wiesen zum Einsinken 🙂

Wie sieht es bei dir mit dem Dazugehören aus?

Unterm Strich möchte ich zu keiner Gruppe dazugehören, die mich nicht akzeptiert, wie ich im Grunde bin.

Ist für dich das Dazugehören überhaupt ein Thema? Findest du es eher schwierig oder fällt es dir leicht, Anschluss zu finden?

Wie weit passt du dich an, um in einer Gruppe integriert zu sein und wo bleibst du für die eigene Integrität lieber unabhängig?

Vielen Dank noch einmal an Iris Wangermann für diesen wunderbaren Denkanstoß!


Beitrag veröffentlicht am

in

, ,

Kommentare

14 Antworten zu „Dazugehören – Come as you are“

  1. Huhu liebe Angela,
    interessanter Blogpost, mit vielfältigen Facetten.
    Es gibt für mich Grundvoraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit ich überhaupt zu einer Gruppe temporär dazugehören möchte. Ansonsten kann ich gut damit leben, wenn ich nicht dazu gehöre. Dafür muss ich mir meiner Selbst aber auch bewusst sein.
    LieGrü
    Elena

    1. Liebe Elena, danke für den Kommentar!
      Ja, das ist teils ganz schön anspruchsvoll, sich seiner selbst überhaupt bewusst zu sein.
      Liebe Grüße
      Angela

  2. Liebe Angela,

    herzlichen Dank für Deinen Beitrag zu meiner Blogparade. Puh! Was für ein kraftvoller Artikel. Lebendig, leidenschaftlich und klar.

    Das Konfetti-Bild ist ganz wunderbar und auch wenn ich schon viel über Wacken gehört habe, wusste ich bisher nicht, dass es so ein offener, inklusiver Ort ist.

    Herzliche Grüße,
    Iris

    1. Liebe Iris,
      danke für die Inspiration und dein Feedback 🙂 Das Konfettibild ist schon zehn Jahre alt und es fühlt sich an, als wäre es gestern gewesen 😀
      Liebe Grüße
      Angela

  3. Liebe Angela, dein Beitrag hat mich sehr berührt, denn jahrelang gehörte ich der Alien-Fraktion an, heißt, ich war ein wunderliches Kind und bin auf viel Ablehnung gestoßen. Meine Freunde waren fünf Lindenbäume auf dem Schulhof und eine alte Trauerweide in unserem Garten. Unter ihr versteckt, habe ich mich sicher gefühlt und zugehörig. Ansonsten fühlte ich mich überall wie ein Fremdkörper: zu Hause, in der Schule und später in der Ausbildung. Nach der Wende habe ich dann endlich andere Aliens getroffen, Frauen, die wie ich in der Kindheit Gewalt erfahren hatten. Miteinander und jede für sich haben wir erkannt, wir sind keine Aliens, unser Leben ist „nur“ von einer anderen Realität geprägt.
    Ich finde es spannend, dass du mit den beiden, so gegensätzlichen Anteilen in dir, diesen Beitrag beginnst. Das anpassungsfähige Chamäleon und der Teil in dir, der sich nicht ohne guten Grund anpassen will. Das war und ist sicher nicht immer einfach, die beiden in Balance zu halten. Ich kenne beide ziemlich gut. Sie haben früher, mir geholfen zu überleben. Anpassung in der Familie, wer mich nicht nimmt, wie ich bin hat Pech, in allen anderen Kontexten. Beide waren in der damaligen Ausprägung für das spätere Zugehörigkeitsgefühl nicht hilfreich. In Therapien konnte ich sie wertschätzen und als zu mir gehörig annehmen, seitdem arbeiten die beiden zusammen, wenn es nötig ist, ansonsten buddeln sie im Sandkasten und nerven mich manchmal mit dem millionsten Sandeis, welches ich unbedingt kosten soll.
    Ich mag, wie du beschreibst, dass andere dich früher eher „untergehakt“ und mitgenommen haben. Das Gesicht deines Lehrers bei deiner Ansage hätte ich gern gesehen. Du beschreibst wunderbar nachvollziehbar, wie du dir nach und nach Gemeinschaften gesucht hast, ausgewählt und dich eingelassen hast. Auch gefällt mir, wie du die „Umwelt“ zu der wir gehören, in deinen Beitrag einbeziehst. Noch heute zieht es mich, wenn in mir mal wieder Chaos herrscht, in die Natur und in mir beruhigt sich alles und wird froh, wenn ich Vögeln beim Bad zuschaue und bei ihren Unterhaltungen zuhöre. Dann weiß ich schnell wieder, dass ich hierher gehöre, dass dies auch meine Welt ist.
    Von Wacken habe ich schon viel gehört, aber da es nicht meine Musik ist – ich höre lieber Punk-Ska – habe ich mich nie weiter damit beschäftigt. Was du über dieses Festival schreibst und auch das Titelfoto von dir, weitet mein Herz. Es ist so wichtig, dass es solche Orte und Gemeinschaften gibt, wo sein darf was ist und wer ist. Ich danke dir für diesen anregenden Beitrag. Herzliche Grüße Sylvia

    1. Liebe Sylvia, vielen Dank für diese ausführliche Antwort. Sie löst bei mir echt Gänsehaut aus. Dieses Gefühl, verstanden und gesehen zu werden, und sei es online von einem Menschen, der relativ weit weg wohnt, ist so wertvoll. Danke!
      Dieses Jahr sind sogar Jaya the Cat in Wacken aufgetreten, die ich aus Gesundheitsgründen leider nicht gesehen habe, weil ich nur einen Tag hingefahren bin und mich dann für den Samstag entschieden habe. Auch musikalisch kommen wir auf einen gemeinsamen Nenner 🙂
      Liebe Grüße
      Angela

  4. Ute

    Ich hab herzlich gelacht bei der Ansage an den Lehrer, er könne sich ja melden, wenn er etwas Interessantes hätte! Sowas hab ich bestimmt oft gedacht, aber mich nie zu sagen getraut. Für mich ist „Dazugehören“ früh zu einem ungesund-existentiellen Thema geworden. Ich war als Kind schon die, die in der Familie immer irgendwie anders war und bei der die Eltern sich einen Spaß draus gemacht haben, hin und her zu spekulieren, „von wem sie das wohl hat“. In der Schule habe ich auch eher zu den „Coolen“ neidisch rübergeschielt; dazugehört habe ich nicht. War aber okay, ich hatte zwei gute Freundinnen, das reichte – ich bin bis heute nicht der Mensch für dutzende Kontakte gleichzeitig. Durch ein paar Erlebnisse, die wohl unter den Begriff „Entwicklungstrauma“ fallen, hat sich in mir dann der Glaubenssatz geprägt: „Ich muss tun, was man von mir erwartet, sonst habe ich keine Daseinsberechtigung.“ Wohin das führt, kann man sich vorstellen… Chamäleon kann ich; ich hab mich oft bis zur Unkenntlichkeit angepasst. Irgendwann wusste ich gar nicht mehr, wer ich bin und was ich wollte (bzw. wie „wollen“ sich überhaupt anfühlt); das war dann der Zeitpunkt, an dem ich mir eine Therapie gesucht habe. Trotz Therapie und eigener Coaching-Ausbildung ist dieses Erwartungen-Erfüllen bei mir immer noch ein großes Thema; gerade letzte Woche hatte ich wieder ein einschneidendes Erlebnis dazu. „Richtig“ und zugehörig fühle ich mich auch immer in der Natur und aktuell in einer „naturnahen“ Gruppe namens „Krautkomplizen“ in Köln; auch in meiner Coaching-Peergroup passte das immer. Meine Bedürfnisse und Werte erstmal überhaupt auf dem Schirm zu haben und sie dann auch noch äußern zu können, wird bei mir wohl ein Lebensthema bleiben.
    Was Du über Eure Beziehung/Ehe schreibst, hat mich sehr berührt; da geht mir das Herz auf. Ebenso bei Deinem WOA-Konfetti-Foto: Da siehst Du rundum glücklich und wunderschön aus!

    1. Liebe Ute,
      ich schicke dir eine Umarmung rüber, wenn das okay ist. Für mich bist du immer in Ordnung! Dieses Problem „Wer bin ich eigentlich und was will ich überhaupt“ ist schon gleichermaßen bizarr wie hartnäckig. Und gleichzeitig habe ich für uns beide Hoffnung, immerhin sind wir uns des Themas bewusst 🙂
      Alles Liebe und danke fürs Lesen!
      Angela

  5. Wir werden heute nicht mehr für vogelfrei erklärt…aber manche (besonders Frauen) werden immer noch so behandelt.

    Liebe Angela,
    ich habe Deinen sehr persönlichen Post sowohl mit Bewegung, Interesse als auch mit ein klein wenig Neid gelesen. Denn mein Chamäleon hat es leider nie gegeben.
    Ich war immer nur ganz ich und alle meine verzweifelten Anpassungsversuche nutzen mir garnix. Irgendwas war immer verkehrt, subtile Kleinigkeiten, die ich selbst nicht sah, nicht erfassen konnte (ich wuszte bis Ende 40 nicht einmal, dasz es nonverbale Kommunikation überhaupt gibt!)..ich war von fast jeder sozialen Situation so heillos überfordert, dasz ich immer und überall in der Hackordnung schnell ganz unten landete. Ob Schule, Familie, Arbeitsstellen, Reha-Klinik oder wo sonst ich eben sein *muszte*. Habe mich oft gefragt: was mache ich denn eigentlich verkehrt?

    Mit 48 bekam ich dann die Diagnose Asperger Autismus und einen Schwerbehindertenausweis.
    Das ändert nix an der Situation, erklärt mir nur endlich vieles und die Selbstvorwürfe konnten aufhören. Ich war nicht zu blöd, ich ticke wirklich anders! Und bin daher zur Vogelfreiheit verurteilt, die in Mobbing, anonymen Briefen, (von Vergewaltigungsphantasie bis Morddrohung) und Ausgrenzung besteht. Die ex-DDR ist auch nochmal einen Zacken schärfer, was solche Tendenzen angeht.

    Was Wacken ist, weisz ich natürlich, aber mein Musikgeschmack ist eher Darkwave der 90er – ich glaub, das wäre mir da zu laut und massiv. Habe in frühen Jahren oft vom WGT in Leizig geträumt, hatte jedoch nie die Mittel für eine Eintrittskarte oder die nötige (Auto)mobilität für irgendein Festival. – Die Erfahrung hätte ich sonst auch gerne gemacht!

    Menschen zugehörig gefühlt habe ich mich nur in einer kurzen Lebensphase unter Berbern, Obdachlosen, „Pennern“ – da durfte ich endlich sein, wie ich bin! Allerdings war ein Straszenleben auf Dauer für mich auch nicht geeignet – kein Rückzug für notwendige Regeneration. Den bietet eben doch nur die eigene Wohnung. Und die Natur. Da war ich immer EINS und zuhause.

    Internetcommunities sind mir irgendwie zu fern und zu instabil. Die Mitglieder verschwinden oft spurlos und man erfährt nie mehr, was aus ihnen geworden ist, wohin der Weg geführt hat. Das kann schmerzlich sein bei manchem, zum Glück ist da doch eine gewisse Oberflächlichkeit und Unverbindlichkeit in den Kontakten. Befriedigt mich andrerseits aber nicht wirklich.

    Natürlich war auch ich bei FFF dabei (und Greta ist auch eine Aspergerin), zugehörig bin ich dort nie gewesen. Zu Demos gehe ich aus Überzeugung, weil ich möchte, dasz da möglichst viele Leute sind. Ansonsten hoffe ich für mich, von dort „ungeschoren“ und ohne Blessuren wieder heimzukommen –
    Ich bin halt die, die selbst beim Foodsharing noch gemobbt wird, der ältere gutsituierte Kleinstadtspieszer die Dinge wieder aus der Hand reiszen…und die doch immer wieder dort hingeht. Einfach, weil sie Hunger hat. Über alles übrige kann ich nur hinweg sehen . Oder auch mal heulen, wenns von denen keiner mehr sieht.
    Vielleicht sollte ich auch noch ein Post dazu verfassen? Schon daran gedacht, scheue mich vor solchen Themen, weil das dann viel zu „anders“ klingt und ich auch in Blogparaden nicht wirklich hineinpasse mit dem, was ich erfahren und zu sagen hab. Öfter so erlebt.
    Sonnenscheingrüsze aus dem Nordharz
    Mascha

    1. Liebe Mascha, vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar! Aus meiner Sicht nehme ich an Blogparaden nicht Teil, um „hineinzupassen“, sondern um meine Perspektive zwischen die anderen zu stellen. Da passe ich manchmal eher gar nicht rein 😉 Ich fände es sehr wertvoll, wenn du deine Gedanken und Erfahrungen auch verbloggtest und bin sicher, dass sich andere Menschen zumindest in Teilen darin wiederfinden würden.
      Liebe Grüße in den Nordharz
      Angela

      1. Das sehe ich auch so mit der eigenen Perspektive. Aber die war wohl manchmal so sehr „Kontrastprogramm“, dasz ich von Veranstalter:innen der Blogparaden einfach ignoriert wurde.
        Aber Du ermutigst mich nun , doch noch zu schreiben – mal sehn, ob ich es dieser Tage noch hinbekomme(?). Für heute hatte ich mir erst einmal das mit dem Lernen vorgenommen. Da fällt mich auch allerhand dazu ein.
        Liebe Grüsze und eine gute neue Woche
        Mascha

  6. […] und akzeptiert es, wenn jemanden nicht zum Reden zumute ist.“ Das ist Angelas Empfindung. In ihrem Beitrag gibt es noch viele Ausführungen, die ich lesenswert […]

  7. Hallo Angela,
    danke für diesen wundervollen Beitrag, den ich sehr lesenswert finde und mich zudem auch zum Schmunzeln gebracht habt. Ich finde es toll, wie du dich dem Thema genähert hast und deine Gedanken formulierst.
    Gefunden habe ich dich über die Blogparade zum Thema Zugehörigkeit und in meinem Beitrag gerne auf dich verwiesen.
    https://weitgluecklich.com/zugehoerigkeit/
    Alles Gute und viele Grüße
    Thomas

    1. Lieber Thomas,
      vielen Dank für den Kommentar und den Pingback 😀 iese Blogparade hat insgesamt eine Menge berührender Beiträge ausgelöst. Dein Artikel ist bei mir auch auf der Leseliste! D
      Liebe Grüße
      Angela

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Dir hat dieser Beitrag gefallen? Hier findest du weitere aktuelle Artikel:

  • 12 von 12 im November 24
    Mein zweites 12 von 12. Der Herbst geht in die matschige Phase über und ich hake ein paar To-Want-Vorhaben ab.
  • Gendersprache? Meine Meinung dazu!
    Was denkst du über Gendersprache? In meinem abschließenden Blogpost zu dieser Frage erfährst du, wie ich wirklich dazu stehe und wie ich das begründe.
  • Warum Lernen politisch ist
    Lernen ist nicht nur Pflichtveranstaltung oder Hobby. Ich erkläre, warum Lernen politisch ist, heute mehr denn je.
Cookie Consent mit Real Cookie Banner