Die Blogparade unter dem Stichwort „relevant“ dreht sich im August um Gedenktage. Heute ist in den USA der Tag der Fehler. Da stellt sich vielleicht die Frage, was es an Fehlern überhaupt zu feiern gibt. Hier meine Antwort darauf:
Ohne Fehler keine Entwicklung
Die Evolution der Arten basiert auf Mutationen. Wörtlich bedeutet dieser Begriff Veränderungen am Erbgut. Allerdings entstehen viele dieser Veränderungen durch Ablese- oder Kombinationsfehler. Gäbe es diesen biologischen „Fehlermechanismus“ nicht, wären wir heute nicht hier. Die ersten einzelligen Lebewesen hätten sich nie über das erste Stadium hinaus entwickelt.
Auch eine Reihe von Erfindungen ursprünglich basieren auf Fehlern: Post-Its, Teebeutel, und Penicillin sind nur drei Beispiele dafür. Wissenschaftliches Arbeiten bedeutet nicht, dass sich Menschen in Experimenten einfach ihre Vermutungen bestätigen und ein paar Jahrzehnte später in Schulbüchern auftauchen.
Auch in meiner eigenen Erfahrung bestand der größte Teil meiner Forschungsarbeit aus nicht „funktionierenden“ Versuchen. Der Punkt ist, was wir aus diesen Ergebnissen machen. Als ich eine andere Lehrerin bei ihrer Masterarbeit begleitete und sie in einem Teilbereich unerwartete Daten herausbekam, brauchte ich viel Geduld, bis sie einsah, dass auch das ein legitimes Ergebnis war. Und dass es ihr keine schlechte Note bescheren würde.
Manches Ergebnis fühlt sich wie ein Fehler an. Dabei ist es eigentlich nur die Rückmeldung, das wir bei unseren Vermutungen nicht immer davon ausgehen sollten, dass sie schon stimmen werden. Offenheit für die Realität und ihre Ergebnisse bringen uns Lernzuwachs. Oder anders gesagt: Wer keine Fehlererfahrungen machen will, wird weniger effektiv lernen, wenn überhaupt.
In meinem Unterricht sage ich oft: Wie gut, dass dieser Fehler hier passiert ist und nicht erst in der Arbeit oder der Prüfung. Bei mir gibt es keine Noten und keinen Druck. So sind Fehler tatsächlich fruchtbare Aufhänger für neu sortierte Gedankengänge. Die Fehlerkultur in unserem Bildungssystem und auch im Arbeitsbereich wäre nochmal ein ganzes Thema für sich.
Ich merke jedenfalls, wie meine Schüler:innen erst eine Offenheit dafür entwickeln müssen, dass sie nicht alles aus dem Stand perfekt hinbekommen. Das ist ein Teil der Gründe, warum sie sich überhaupt erst bei mir zur Nachhilfe anmelden.
Fehler unter Mitmenschen
Manchmal kommt es vor, dass wir uns Anderen gegenüber falsch verhalten. Wenn wir sie oder die Situation missverstehen. Oder wenn wir urteilen, ohne alle Informationen gehabt zu haben. Wenn wir unsere schlechte Laune an zufällig in der Nähe Stehenden auslassen. Solche Fehler bringen natürlich zunächst die Gemeinschaft nicht voran.
Und gleichzeitig gilt auch hier: Wer im zwischenmenschlichen Bereich Fehler zu 100% vermeiden will, dürfte im Grunde keinen Kontakt zu Anderen haben. Weil wir einfach nicht perfekt sind. Außerdem kommt es auch hier sehr stark darauf an, wie wir mit der Situation hinterher umgehen. Einsicht, um Verzeihung bitten und Dazulernen sind Verhaltensweisen, die eine Gemeinschaft stärken können.
Wobei wir uns auch klar sein müssen, dass es keinen Anspruch auf Verzeihen gibt. Für das Miteinander hilft es, sich vorher zu bemühen und im Nachhinein die neu gelernten Lektionen auch umzusetzen:
Auch hier gehören zu einer konstruktiven Haltung wieder Offenheit und Lernbereitschaft. Dann können an den Bruchkanten neue Verbindungen entstehen wie in der japanischen Reparaturmethode Kintsugi, bei der zerbrochene Gegenstände zu Kunstwerken werden.
Muss ich mich über Fehler freuen?
Ein Teil meiner Persönlichkeit ist ein kleiner Hulk. Seine Lunte ist kurz und wenn Dinge nicht gut laufen, wird er laut. Auch wenn ich gefühlt nicht so gute Leistungen abliefere, wie ich sie von mir erwarte. In diesen Momenten könnte ich versuchen, mir die Fehler schön zu reden und dem Hulk zu erklären, wie toll es ist, dass wir gemeinsam lernen. Oder ich kann mir eingestehen, dass ich nicht gerne falsch liege und dann frustriert bin.
Aus meiner Sicht ist das eine Frage der Gleichzeitigkeit. Ich weiß, dass Fehler mich voran bringen. Und sie machen mich manchmal wütend. Beides gehört zu meiner Realität. Und oft hängt es auch von der Situation ab, von meiner Tagesverfassung und davon, wie stark sich ein Fehler auf mein Leben auswirkt. Manchmal sitzt nicht der Hulk in der Steuerkanzel, sondern der neugierige und kreative Teil in mir, der sagt: „Ach, ist ja spannend!“ Und dann fallen wir meistens in den nächsten Kaninchenbau und informieren uns über ein neues Thema.
Also nein, niemand muss sich über Fehler freuen, wenn die Zähne eigentlich knirschen. Neben Nachsicht mit mir und anderen Menschen hilft ein grundsätzlich offenes Bewusstsein dafür allerdings weiter. Und sei es nur einmal im Jahr am Tag der Fehler.
Das Beitragsbild ist von Ruthann Hurwitz unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.
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