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Vorsätze: Humans need fantasy to be human. To be the place where the fallen angel meets the rising ape. Terry Pratchett, Hogfather

Frohes Neues Jahr 2022!

Warum sollte ich mir ausgerechnet am 1.1. gute Vorsätze zurecht legen?

Hast du dir für 2022 gute Vorsätze überlegt? Und wie waren in den vergangenen Jahren deine Erfahrungen mit solchen Vorsätzen? 2020 habe ich schon einmal etwas über Ziele geschrieben, dieses Jahr hat mich ein Buch neu inspiriert, dass ich immer wieder gerne im Dezember lese.

Jedes Jahr zu Weihnachten passt der Roman „Hogfather“ (auf Deutsch „Schweinsgalopp“) von Terry Pratchett oder alternativ seine Verfilmung genau zu meiner allgemeinen Stimmung. Als Hauptpunkt der Handlung müssen dabei der Tod und seine Enkelin Susan dafür sorgen, dass der Hogfather (das Scheibenweltäquivalent zum Weihnachtsmann) nicht stirbt. Ansonsten würde die Sonne nicht wieder aufgehen. Jedenfalls ist das die Begründung, die der Tod Susan mit auf den Weg gibt. Für mich ist das schönste Zitat aus dieser Geschichte folgendes:

„Humans need fantasy to be human. To be the place where the falling angel meets the rising ape.“

Terry Pratchett

Übersetzt: Wir Menschen brauchen Geschichten wie die um den Weihnachtsmann, um menschlich zu sein. Wir sind in den Augen des Scheibenwelttodes die Verbindung zwischen dem fallenden Engel und dem aufsteigenden Affen. Abgesehen von dem sehr poetischen Bild, das sich mir dabei immer sofort abzeichnet, erklärt der Tod weiter, dass wir an kleinen Narrativen üben, um auch an große Erzählungen wie Gerechtigkeit und Gnade zu glauben. Denn selbst wenn wir das Universum pulverisieren und durchsieben könnten, und „kein Atom Gerechtigkeit“ finden würden, haben wir das Bedürfnis wider besseres Wissen daran zu glauben.

Ich will nicht vorwegnehmen, ob der Hogfather am Ende gerettet wird und was mit der Sonne passiert. Was ich an diesem Buch und an Terry Pratchett allgemein so faszinierend finde, ist das Nebeneinander verschiedener Ebenen, die den Figuren zu gleicher Zeit bewusst sind und die gleichberechtigt gelten, obwohl sie scheinbar unvereinbar sind.

Wir vereinen in uns jeweils mehrere teils sehr unterschiedliche Personen und das Bewusstsein hat unterschiedlich alte und unterschiedlich funktionierende Schichten. Ein Teil von uns ist sich sicher, dass aus physikalischen Gründen die Sonne wieder aufgehen muss. (Ein Teil dessen könnte zusätzlich einwenden, dass sie gar nicht aufgeht, sondern durch die Erdrotation nur aufzugehen scheint.) Ein anderer Teil kann auch heute noch die Sorge der frühen Menschen sehr gut nachempfinden, die weniger Informationen über unser Sonnensystem hatten und sich nicht gewiss sein konnten, dass der Winter wieder enden würde.

Die Magie des Neuen Jahres

Seit einigen Jahren erlebe ich die ersten Wochen eines Jahres tatsächlich als eine sehr wirkungsvolle Zeit, um neue Gewohnheiten zu etablieren. Dabei ist mir klar, dass die Festlegung des Jahresbeginns willkürlich ist. Genauso könnte das Jahr auch am 13. April beginnen. Wenn wir das so festgelegt hätten. In diversen Kulturkreisen ist der Jahreswechsel für ein anderes Datum festgelegt. Entsprechend lese und höre ich von einigen Menschen, dass sie nicht einsehen, sich genau jetzt gute Vorsätze zu überlegen. Und ich kann das gut verstehen.

Und gleichzeitig funktioniert in meinem Bewusstsein das Narrativ des Neubeginns. Und mit jeder Wiederholung und mit jedem Erleben, dass es funktioniert, trägt diese Erzählung mich noch zuverlässiger. Während ich mir parallel der gedanklichen Konstruktion dahinter bewusst bin. Ein weiteres Zitat von Terry Pratchett lautet:

“It’s still magic even if you know how it’s done.”

Terry Pratchett, A Hat Full of Sky

Das Wissen darüber, wie das Einlassen auf eine Tradition der Schlüssel zu ihrer Wirksamkeit ist, macht für mich die ersten Wochen des Jahres nicht weniger magisch. Eher noch mehr.

Die scheinbare Irrationalität unserer Silvesterbräuche

Wir Menschen haben für den Jahreswechsel eine Fülle von Ritualen entwickelt. Den Countdown, das Anstoßen, das Feuerwerk, Dinner for One (oder auch nicht) und viele mehr, auch regional abhängig. Für einige von uns fehlt am Silvesterabend etwas Entscheidendes, wenn sie Freddie Frinton nicht beim Stolpern über den Tigerkopf zusehen. Die scheinbar irrationale Bindung an diese Momente ist nach Terry Pratchett das, was uns menschlich macht. Und zwar nicht menschlich-fehlerhaft sondern menschlich-sympathisch.

Wenn zwischendrin noch Zeit ist, wird zu Silvester auch gerne orakelt, sei es per Zinngießen oder mit Orakelkarten. Da sagt der rationale Teil in mir, dass mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit nicht am anderen Ende des Universums eine Instanz sitzt, die auf die Anordnung eines Stapels bunt bedruckter Kartonstücke Einfluss nimmt.

Der gleiche Teil weiß gleichzeitig, dass die Bilder auf diesen Karten oder die Form des erstarrten Zinns dem menschlichen Geist einen Aufhänger bietet, um sich über sich selbst klarer zu werden. Wenn ich so zurückdenke, war in meinem Fall das Zinn sowieso immer nur tropfenförmig, da muss es noch irgendeinen Trick geben. Und der Rest meiner Persönlichkeiten ist mit kindlicher Faszination bei der Sache.

Ich kann über die gezogenen Orakelkarten meditieren und mein Inneres abklopfen, ob es da irgendwie in Resonanz tritt und mir an der Stelle mitteilt, was es mir schon lange mal sagen wollte. Und gleichzeitig bin ich dadurch nicht festgelegt. Ich kann die Botschaft annehmen und ich kann sie dankend ablehnen. Oder etwas dazwischen. Und das mit der Haltung, dass keine der Optionen die anderen negiert.

Genau diese Gleichzeitigkeit möchte ich im kommenden Jahr kultivieren und bewusster wahrnehmen. Ich habe den Verdacht, dass sie stattfindet, ohne dass ich dazu absichtlich beitrage. Und gleichzeitig vermute ich, dass ich dabei noch mehr in der Tiefe etwas über meine Menschlichkeit lernen kann. Vielleicht auch über meinen wohlisolierenden Pulli. Wir werden sehen.

Was meinst du zum Thema gute Vorsätze?

Wie sieht es bei Dir aus, sprechen Dich die Traditionen dieser Tage an? Wenn ja, auf welchen Ebenen? Wie fühlt sich für Dich diese Schnittstelle zwischen Rationalität und Irrationalität an? Wie stehst Du zu der These, dass wir grundsätzlich die kleinen Geschichten um Weihnachten brauchen, um an so etwas wie Gerechtigkeit zu glauben? Was bedeutet Dir der Jahreswechsel und das Konzept der Vorsätze zum Jahresbeginn?

Wie auch immer, ich wünsche Dir ein wunderbares Neues Jahr 2022!


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