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10 Jahre Nachhilfe: Eine Frau steht mit den Händen in den Hosentaschen vor einem Gewässer, sie lächelt, der Himmel ist blau und die Sonne scheint von der Seite.

10 Jahre Nachhilfe

Im Rückblick ging es erstaunlich schnell: 10 Jahre ist es her, dass ich mich mit der Nachhilfe selbstständig gemacht habe. Dabei hatte ich meinen beruflichen Lebensweg eigentlich anders geplant.

Im Beitragsbild siehst du mich in meinem ersten Urlaub nach meinem letzten Jahr als Lehrerin im Schuldienst. Damals hatte ich ein paar weiße Haare weniger und noch keinen sehr präzisen Geschäftsplan 🙂

Was habe ich in 10 Jahren Nachhilfe gelernt?

Über mich

Angestellt zu sein ist nichts für mich. Am besten funktioniere ich, wenn ich keine Vorgaben habe. Wenn ich aus der Situation heraus entscheiden kann, mit welcher Frage oder welchem Material ich den Lernprozess am sinnvollsten unterstützen kann. Dadurch entsteht eine Leichtigkeit und ein Fließen, von dem alle Beteiligten profitieren.

Der Buchhaltungskram ist langweilig, aber nötig. Ich muss mich immer noch aufraffen, pünktlich meine Rechnungen zu schreiben. Dieser ganze Papierstapel ist alles andere als spannend. Leider verschwindet er nicht von alleine 😉 Im Laufe der Jahre habe ich mir eine Routine angelegt, mit der ich die Buchhaltung wenigstens effektiv abarbeite.

Business as usual: Photo, Nahaufnahme von einem Hängeregister mit hellbraunen Mappen.
Mein Tipp: Hängeregister 😄

Ich arbeite wirklich gerne mit Kindern und Jugendlichen. Nach meiner Kündigung an der Schule wollte ich ursprünglich hauptsächlich Coaching mit Erwachsenen machen, weil mich manches Verhalten der Jugendlichen sehr angestrengt hatte. Es ergab sich allerdings anders und im Nachhinein freut mich das sehr.

Ich begleite sehr gerne junge Menschen beim Lernen. Es ist faszinierend, bei dieser wichtigen Entwicklungsphase dabei zu sein, wenn sich eine Haltung dem Leben gegenüber heraus kristallisiert und wenn fachliche und methodische Kompetenzen angelegt werden, auf der sie später ihren eigenen beruflichen Weg aufbauen werden.

Meine Horrorvorstellung: Werbung machen zu müssen. Wenn es etwas gibt, was mich mehr abschreckt als der Bürokram hinter meinem Unternehmen, dann ist es die befürchtete Notwendigkeit, mich neben der Konkurrenz verkaufen zu müssen.

Zum Glück hat es sich so ergeben, dass Eltern und ehemalige Schüler:innen mich weiter empfehlen. Ich kann gar nicht sagen, wie dankbar mich das macht. Und wie sehr es mich auch freut, dass sie anscheinend aus der Nachhilfe bei mir einen Gewinn gezogen haben. Um Referenzen zu bitten ist immer noch aufregend, allerdings sind die, die ich bisher erhalten habe, wirklich herzerwärmend 💝

Manchmal macht mir das Unterrichten etwas zu viel Spaß. Ende Mai 24 merkte ich, dass ich ein paarmal zu oft Ja gesagt hatte. Natürlich ist es schön, angefragt zu werden. Es gibt aber tatsächlich eine Obergrenze und die war in dieser Prüfungssaison zeitweise überschritten. Jetzt weiß ich, wie viele Projekte ich nachhaltig gleichzeitig betreiben kann.

Über das Lernen

Wir brauchen eine neue Fehlerkultur. Ich werde nicht müde, meinen Schüler*innen zu sagen, wie erfreulich es ist, wenn sie in den Stunden mit mir Dinge nicht gleich korrekt machen.

Erstens gibt es auch in der Mathematik meistens nicht nur den einen richtigen Weg und ich bin immer begeistert von der Kreativität, die ich da oft beobachten darf.

Zweitens lässt sich aus Fehlern oft etwas über Gedankenprozesse lernen. Wenn ich sage „Du hast dir dabei ja etwas gedacht, was war das denn?“, dann stellen wir fest, an welcher Stelle die Person „kreativ abgebogen“ ist. Und das hilft für die Zukunft, an dieser Stelle den mathematisch sinnvolleren Weg zu nehmen.

Drittens macht nur die Person keine Fehler, die nichts macht. Mein Unterricht ist ein Trockendock ohne Noten und ohne Urteil. Wie wertvoll ist es, wenn bei der Gelegenheit Irrtümer auffallen und begradigt werden können, bevor es in die entscheidende Klausur geht!

Meine Rückmeldung von Duolingo für 2024

Fragen zu stellen ist nicht dumm, sondern notwendig. Ich sollte einmal Strichliste führen, wie oft jemand bei mir die folgende Einleitung verwendet:

„Ich weiß, das ist jetzt eine blöde Frage, aber…“

Auch da weise ich immer wieder sanft aber beharrlich darauf hin, dass ich das anders sehe. Wer Fragen stellt, hat sich mit einem Thema beschäftigt und realisiert, dass Informationen fehlen. Fragen bringen ein Gespräch und einen Denkprozess voran. Und jedes weitere Fragenstellen stärkt den Mutmuskel.

Leider fehlt im Schulbetrieb die Zeit für originelle Abzweigungen, daher müssen Lehrkräfte Fragen oft abwimmeln. Dabei nehmen meine Schüler*innen mit, dass ihre Fragen stören oder dumm sind, was ich sehr schade finde. Ich bin in vielen Dingen ungeduldig, aber in meinem wiederholten Statement „Du weißt, bei mir gibt es keine dummen Fragen“ habe ich einen unendlich langen Atem 😊

Der Kontext erleichtert oder erschwert das Denken. Es ist faszinierend, manche Rechnungen wie 6-2 können in der Grundschule die meisten Kinder sicher rechnen. Mit ausreichend zeitlichem Abstand scheint in der Oberstufe die Rechnung -2+6 schwierig zu sein. In der Mittelstufe lernen wir das Rechnen mir rationalen Zahlen. Plus mal minus ergibt minus, also wird hinter -2+6 irgendein Haken vermutet. Die Erwartungshaltung macht das Rechnen unnötig schwer.

In manchen Situationen gibt es scheinbar magische Worte. Wenn jemand zu Beispiel darüber grübelt, was 4,6 geteilt durch 4 ist, frage ich immer: „Stell dir vor, du hast 4,60€ und teilst dir die gerecht mit drei anderen Personen. Wie viel bekommst du?“ Dann gibt es die Antwort gewöhnlich in wenigen Sekunden.

Warum das funktioniert, weiß ich nicht genau. Ich nehme an, dass es einfach der Alltagsbezug ist. Ein großer Teil unseres Alltags besteht aus Textaufgaben, die wir entspannt bewältigen. Wenn es sich um eine Matheaufgabe dreht, erwarten viele Gehirne offensichtlich, dass es jetzt knifflig wird.

Manchmal hilft auch eine andere Formulierung: „72 geteilt durch 12“ ergibt immer wieder Stirnrunzeln. Die Frage „Wie oft geht die 12 in die 72?“ löst die Denkblockade immer wieder auf. Auch hier habe ich noch keine Erklärung, beobachte das Phänomen aber fasziniert. Frag mich nach weiteren 10 Jahren Nachhilfe nochmal 😉

Es geht beim Lernen oft nicht nur um fachliche Inhalte. In meinem Unterricht haben wir luxuriös viel Zeit. Wenn mich dann Schüler*innen zu Themen völlig abseits der Mathematik fragen, können wir uns diese Ausflüge in das Persönliche gönnen.

Meiner Erfahrung nach profitiert der Lernprozess, wenn Schüler*innen als ganze Menschen wahrgenommen werden und wenn sie von ihrem Schulalltag erzählen können und ihnen erst einmal unvoreingenommen geglaubt wird. Wenn sie auch ihre Lehrerin als Menschen kennenlernen können. Und wenn diese Lehrerin aus ihrer Erfahrung im Schulbetrieb auch manches Verhalten von Lehrkräften erklären kann.

Über Menschen und das Leben

Entscheidungen legen selten den Rest unseres Lebens fest. Das gebe ich meinen Schüler*innen oft mit. An meinem Beispiel können sie sehen, dass sie nicht jetzt schon alle Weichen stellen und dann festschweißen. Auch wenn es natürlich sinnvoll ist, eine Ausbildung oder einen Studiengang zu wählen, der der eigenen Persönlichkeit entspricht. Gleichzeitig haben wir immer Optionen und können noch einmal neue Wege einschlagen.

über mich: Wegweiser in einem Londoner Park
So viele Möglichkeiten!

Viel zu wenige Menschen finden ihre Nische. Wenn wir auch eigentlich nie wirklich festgelegt sind, scheinen viele Menschen in einer Tätigkeit zu stecken, zu der sie sich am Montag aufraffen und den Freitag herbei sehnen. Für mich ist das nach diesen 10 Jahren Nachhilfe inzwischen unvorstellbar.

Ich wünsche ihnen sehr, dass sie doch noch das finden, was sie können, was sie lieben und was die Welt braucht. Wenn sich das dann noch monetarisieren lässt, ist es natürlich ideal. Ansonsten sehe ich hier ein weiteres gutes Argument für das bedingungslose Grundeinkommen.

Als Kollektiv treffen wir Menschen oft sehr kurzsichtige Entscheidungen. Eigentlich wissen alle Beteiligten, wie destruktiv der Sparkurs ist, der im Bildungssystem Deutschlands seit Jahrzehnten gefahren wird. Und wie alle von wirklicher Inklusion und gelebter Diversität profitieren würden.

Leider sieht es aktuell nicht so aus, als hätte jemand in der Politik den Mut, endlich mal radikale Veränderungen anzuschieben. Dabei bräuchten wir genau das, am besten gestern, am zweitbesten heute.

Fazit nach 10 Jahren Nachhilfe

Ein Jahr nach meinem Abi traf ich zufällig meinen ehemaligen Chemielehrer. Als ich ihm sagte, dass ich ein Chemiestudium begonnen hatte, meinte er, dann würde ich ja sicher auch irgendwann mal Lehrerin. Damals lachte ich darüber.

Heute staune ich im Rückblick, wie sich mein Lebensweg ergeben hat. Wie ich genau an der Stelle gelandet bin, an der meine Tätigkeit für mich weniger Arbeit ist und hauptsächlich Bereicherung. Es war bestimmt auch eine Menge Glück dabei und ich hatte sicher gute Voraussetzungen.

In keiner anderen Position habe ich mich so lange so wohlgefühlt. Auf die 10 Jahre Nachhilfe in eigenverantwortlicher Arbeit sehe ich mit großer Dankbarkeit zurück. Und freue mich auf die Zukunft. So lange ich dazu in der Lage bin, und so lange meine Fähigkeiten gebraucht werden, kann ich mir deutlich mehr als 10 weitere Jahre vorstellen 😉


Danke fürs Lesen und Teilnehmen an meiner Rückschau 🥰 Hast du ähnliche berufliche Jubiläen gefeiert? Was hast du aus deiner Tätigkeit über dich und deine Mitmenschen gelernt?


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