Sandra Hoppenz hat sich für den CT-Blogparadensommer etwas Spannendes ausgedacht. Sie fragte danach, was Selbstbestimmung für mich bedeutet. Zwar ist die Frist schon abgelaufen, allerdings inspiriert mich das Thema trotzdem, noch etwas dazu zu bloggen.
Der Notizzettel aus dem Beitragsbild ist bei mir an der Wand befestigt, um mich daran zu erinnern, wie wenig ich wirklich muss. Die Frage nach der Fremdbestimmung beschäftigt mich nämlich sehr.
Meine Vorstellung von Selbstbestimmung
Ich finde es leichter, das Gegenteil von Selbstbestimmung zu beschreiben. Wir alle kennen das mehr oder weniger aus der Kindheit, als andere Menschen vieles für uns entschieden haben, oft mit den besten Absichten. Und auch meistens aus guten Gründen. Von unserer Existenz an sich, über den Aufenthaltsort, bis zur Festlegung, wann die Mathearbeit geschrieben wird und wann die Ferien anfangen.
Glücklicherweise durfte ich schon als Kind viel selbst entscheiden. Und das in einem, wie ich finde, angemessenen Rahmen. Ich habe mein Pausenbrot für den Kindergarten selbst gestrichen und meine Eltern haben mich und meine Schwester an einem Regentag mit den neuen Sandalen zur Schule marschieren lassen. (Freundlicherweise wartete mein Vater dort mit trockenen Socken und Schuhen auf uns.)
Das hat vermutlich mein großes Bedürfnis nach Autonomie geprägt. Und auf meinem beruflichen Weg durch verschiedene Stationen hat es im Rückblick am meisten geknirscht, wenn ich mich auch an Vorgaben halten sollte, die ich nicht für sinnvoll hielt. Und weil ich manche Hierarchien nur schwer nachvollziehen kann. Es ist bei weitem nicht immer so, dass diejenigen mit mehr Weisungsbefugnissen automatisch kompetenter sind.
Ich bin eine große Freundin von Regeln. Begrenzungen der Fahrgeschwindigkeit, Müllabladeverbote oder auch grundsätzliche Höflichkeitsnormen halte ich gerne ein, weil ich mir ein reibungsarmes Miteinander wünsche und meinen Teil dazu beitrage. Gleichzeitig geht es mir am besten, wenn diese Regeln für mich sinnvoll und plausibel sind.
Wo lebe ich selbstbestimmt und wo nicht?
Hunderprozentige Eigenregie gibt es für niemanden. Auch nicht für mich, leider. Im Bereich der Bürokratie, Behörden und Buchhaltung passe ich mich notgedrungen dem System an. Dass wir überhaupt alle einen Lebensunterhalt erarbeiten müssen, ist eine grundsätzliche Vorgabe von außen.
In meiner täglichen Arbeit bin ich allerdings sehr frei in meinen Entscheidungen. Ich kann den Fortschritt im Unterricht beschleunigen und verlangsamen, so wie ich es für angebracht halte. Dabei richte ich mich danach, wie meine Schüler:innen die Inhalte aufnehmen. Und ich sehe, wie sie davon profitieren.
Ich muss auch nicht mit jeder Person zusammen arbeiten. Als Lehrerin an der Schule hatte ich wenig Einfluss darauf, wen ich zu unterrichten hatte. Als ich noch für den Studienkreis arbeitete, nicht angestellt wohlgemerkt, haben die Standortleiterinnen immer wieder versucht, so zu tun, als könnten sie mir die Zusammensetzung der Lerngruppen vorschreiben. Es hat Gründe, dass ich nicht mehr für dieses Unternehmen arbeite.
Wenn jetzt bei mir ein Kind mit permanenter Antihaltung säße, die Eltern unrealistische Vorstellungen hätten oder nur schleppend zahlten, würde ich den Vertrag beenden. Es gibt genug kooperative Schüler:innen, die mit mir genauso wertschätzend umgehen wie ich mit ihnen. Und das ist es, wofür ich die sichere Stelle im Schulbetrieb gekündigt habe.
Privat lebe ich selbstbestimmt, indem ich mich Konventionen nicht ungeprüft unterwerfe. Ich lebe vegan, weil das meiner Vorstellung von Gerechtigkeit den Tieren gegenüber entspricht. Ich schminke mich nicht, weil es mir ungeschminkt besser geht.
Und ich habe es auch aufgegeben, meinen Blog so zu gestalten, wie es sich eigentlich angeblich für diesen Teil meiner Business-Seite gehört. Seitdem macht mir das Bloggen wieder viel mehr Spaß. Und das ist für mich inzwischen das wichtigste Kriterium, solange mein Verhalten keiner anderen Person schadet.
Was brauchen wir zur Selbstbestimmung?
Werte
Um zu wissen, was wir wie bestimmen wollen, müssen wir wissen, was uns wichtig ist. Unsere persönlichen Werte sind der Kompass, mit dem wir überhaupt erst eine uns entsprechende Richtung einschlagen können.
Wissen
Wenn wir nicht wissen, was wir können und was unsere Möglichkeiten sind, ist es mit der Selbstbestimmung schwierig. Es kann sein, dass wir unser Leben dann kleiner einrichten als nötig. Oder dass wir uns etwas vornehmen, was uns auf Dauer überfordert. Eine klare und regelmäßige Bilanz der äußeren und inneren Lage stellt die Selbstbestimmung auf solidere Füße.
Freiraum
Mein Grad an Selbstbestimmtheit hängt vom umgebenden System ab. Je nachdem, welche Optionen wir haben oder wie stark unkonventionelles Verhalten sanktioniert wird, haben Menschen überhaupt erst die Möglichkeit, ihr Leben nach ihren inneren Werten und ihrem Potential auszurichten.
Ein Punkt, der uns als Gesellschaft hier sehr weiterbringen könnte: Das bedingungslose Grundeinkommen. Wenn die eigene Existenz grundsätzlich abgesichert ist, sind Menschen freier, das zu tun, was sie können und lieben, was anderen nützt und die Gesellschaft voran bringt. Ikigai ohne das Kriterium der Wirtschaflichkeit. Besonders hat das BGE Studien zufolge übrigens Frauen autonomer gemacht.
Integrität
Habe ich nun meine Werte geklärt, weiß um meine Möglichkeiten und meine Kompetenzen und habe ich den nötigen Freiraum, braucht es noch den Mut, meine Selbstbestimmung zu leben. Denn wenn die Mehrheit um mich herum ein anderes Lebensmodell wählt, stellt sich die Frage, was mir wichtiger ist: Dass meine Entscheidungen mit mir übereinstimmen? Oder dass ich nicht zu sehr im Strom der Gesellschaft anecke?
Das kann jeder und jede nur selbst für sich beantworten. Und wenn sich dann jemand für ein eher mehrheitstaugliches Leben entscheidet, ist das am Ende auch eine Art Selbstbestimmung. Und ist es ein Zeichen von Integrität, für diese Entscheidung Verantwortung zu übernehmen.
Darf ich das eigentlich?
Eine der Fragen in Sandras Aufruf hat mich spontan irritiert:
„Ist es nicht eigentlich egoistisch, selbstbestimmt leben zu wollen?„
Sandra Hoppenz
So hatte ich noch nie über Selbstbestimmung gedacht. Wie schon erwähnt, es geht nicht darum, andere zu belasten. Sondern darum, in meinem persönlichen Bereich mit meinen Werten, Stärken und Bedürfnissen weitestgehend im Einklang zu sein. Dass Menschen das als egoistisch empfinden könnten, hat mich echt überrascht.
Und vielleicht liegt darin auch ein Grund dafür, dass wir als Gesellschaft weit weniger selbstbestimmt leben, als wir könnten. Weil wir Bedenken haben, dass wir von außen als selbstsüchtig verurteilt werden könnten, wenn wir im Grunde selbstfürsorglich sind.
Den Gedanken muss ich noch sacken lassen. Und ich wünsche mir, dass wir den irgendwann einmal aufweichen können.
Wie siehst du das Thema Selbstbestimmung?
Hast du den Eindruck, dass du dir ausreichend Selbstbestimmung gönnst? Oder fühlst du dich von äußeren Erwartungen eingeschränkt? Was würde dir helfen, selbstbestimmter zu leben?
Schreibe einen Kommentar