Wer unter uns hat keine Probleme mit Mathe? Als Nachhilfelehrerin für unter anderen Mathematik ist mir das besonders bewusst. Dieses Fach erscheint der Mehrheit sehr kompliziert und es ist dadurch auch nicht gerade populär.
In einer Testung auf Bundesebene aus dem Jahr 2024 verfehlten vierunddreißig Prozent der Neuntklässler:innen die Mindeststandards für die Abschlussprüfung der zehnten Klasse in Mathematik. In der zehnten Klasse waren es noch vierundzwanzig Prozent, die diesen Mindeststandard nicht erreichten. Im internationalen Vergleich war das ziemlich enttäuschend.
Der folgende Artikel dreht sich ausdrücklich um Schüler:innen, die keine Lernstörung wie Dyskalkulie oder ähnliche zusätzliche Schwierigkeiten haben. Ich biete Nachhilfe in mehreren Fächern an und trotzdem unterrichte ich fast nur Mathematik. Bei meinen Schüler:innen leidet die Leistung in Mathematik nicht an grundlegenden Lernschwächen und oft sind es nur sehr kleine Stellschrauben, die einen ganz neuen und leichteren Zugang zu diesem Fach ermöglichen.
Was steckt oft hinter dem Problem mit Mathe?
Es fängt oft schon in der Grundschule an. Ein Teil der Kinder stürzt sich mit Wissensdurst in die Welt der Zahlen und Rechenzeichen. Viele können schon zählen und sind ganz unvoreingenommen stolz auf ihre Kompetenzen. Bei anderen kippt die Laune schnell in Richtung „Mathe ist nichts für mich“. Was ich unglaublich schade finde.
Oft gilt Mathematik auch als uncool. Später in der Pubertät nimmt diese Einschätzung häufig noch zu, wenn Jugendliche ihre persönliche Identität entwickeln und viele von ihnen sich an denen orientieren, die selbstbewusst die Trends setzen. Und da steht Mathematik als Interesse eher selten auf den vordersten Plätzen.
Auf der anderen Seite ist dieses Fach ein Bestandteil der Prüfungen nach der neunten und zehnten Klasse. Cool oder nicht, hier kommt niemand an der Mathematik vorbei. Erst recht nicht in der Oberstufe, in der manches Abitur durch schlechte Noten in Mathe am seidenen Faden hängt. Der dadurch empfundene Zwang noch ist ein zusätzliches Problem.
Am Ende der Schullaufbahn ist dann für viele die anfängliche Begeisterung komplett verpufft. Das, wofür menschliche Gehirne meiner Ansicht nach unter anderem gemacht sind, scheint mysteriös und überflüssig.
Natürlich gibt es Kinder mit echten Lernstörungen wie zum Beispiel Dyskalkulie. Bei vielen meiner Schüler:innen beobachte ich allerdings, dass ihrem Verständnis der Mathematik eher Glaubenssätze und grundlegende Verunsicherungen im Wege stehen.
Was sind diese Glaubenssätze?
Glaubenssätze sind das, was wir über die Welt annehmen. Wir entwickeln sie aufgrund von Erfahrungen mit unserer Umwelt und festigen sie durch Wiederholungen. Neutral formuliert helfen sie uns, diese Erfahrungen zu erklären und einzuordnen. Manchmal blockieren diese Glaubenssätze allerdings auch unser Potential nachhaltig.
Probleme mit Mathe gehen bei Kindern und Jugendlichen ohne Lernstörungen zum Teil auf Annahmen wie diese zurück:
- Mathematik mit Buchstaben verstehe ich nicht.
- Mädchen sind nicht so gut in Mathe.
- Mathe ist mehr etwas für Nerds.
- Mathe brauche ich im Leben nicht.
- Jetzt habe ich schon so große Lücken, das hole ich eh nicht mehr auf.
- Mein Lehrer sagt, ich kann Mathe nicht, der wird es ja wohl wissen.
- Meine Eltern waren auch schlecht in Mathe.
- Sachaufgaben verstehe ich nicht.
Wo findet die Verunsicherung statt?
Wer häufig genug an Arbeiten, Klausuren und Tests scheitert, zweifelt die eigenen Kompetenzen an. Und verliert auch die Motivation und Lernfreude.
Zu viel Druck, zu wenig Zeit
Es ist normal, dass Lernstoff immer komplizierter wird, je weiter wir vorankommen. Ich selbst bin an der Stelle auch oft frustriert und mein Interesse an neuen Hobbys lässt nach, sobald ich mich mehr bemühen muss, als ich möchte. Schulfächer können wir allerdings nicht so einfach loslassen. Besonders nicht die Mathematik.
In unserem Bildungssystem haben Lehrkräfte und Schüler:innen tendenziell zu viel Druck und zu wenig Zeit. Zum Beispiel lagen die Sommerferien 2025 in Schleswig-Holstein und Hamburg extrem spät. Das neue Schuljahr beginnt mit Zeitnot und Klausurenstress. Das sind keine idealen Bedingungen, um in Ruhe mathematische Konzepte zu erläutern und zu verstehen.
Und leider bauen viele dieser Konzepte aufeinander auf. So hast du sehr wahrscheinlich Probleme, Wahrscheinlichkeiten zu berechnen, wenn du bei der Bruchrechnung ausgestiegen bist. Leider ist im normalen Schulalltag neben Stundenausfall, Lehrkräftemangel und diversen Extraaktivitäten oft nicht genug Raum, um grundlegende mathematische Strategien ausführlich genug zu vermitteln und zu festigen. Als ich noch Lehrerin im Schulbetrieb war, scheiterte mein guter Vorsatz, regelmäßig Kopfrechenübungen zu veranstalten, im hektischen Schulalltag.
Auch die klassischen Textaufgaben, die eigentlich unter allen Aufgabentypen unseren Alltag am meisten abbilden, bekommen meistens nicht genug Raum. Wenn sie daher ohne ausreichendes Strategietraining einfach nur vorgesetzt werden, verhärten sich auch hier Verunsicherungen und Abneigungen mit der Zeit. Sie kommen in Prüfungen und Arbeiten besonders oft vor, gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass sie am meisten Furcht und Schrecken erzeugen.
Die Pandemie hat zu den Kenntnislücken noch zusätzlich beigetragen. So berechtigt die meisten Maßnahmen auch im Rückblick waren: Die meisten meiner Schüler:innen haben bei der Online-Beschulung während der Lockdowns viele Grundbausteine verpasst und dadurch größere Lücken als die Jahrgänge vor ihnen. So wirken spätestens in der Oberstufe manche Arbeitsaufträge noch unverständlicher.
Von der Grundschule zur Mittelstufe
Zwischen der Grundschule und der Sekundarstufe I liegt ein besonders spürbarer Bruch. Einige meiner Schüler:innen berichten, dass sie in der Grundschule „Mathe konnten“, dass es aber ab der fünften Klasse bergab ging. Dieser Verlust an wahrgenommener Selbstwirksamkeit verstärkt die Probleme zusätzlich.
Mit dem Schulwechsel ändern sich mehrere Dinge auf einmal: Der Klassenverband, die Zahl der Lehrkräfte und die Art, Inhalte zu vermitteln. Neue Fächer kommen dazu und meistens ist der Weg zur Schule weiter. Zu diesen tiefgreifenden Veränderungen kommen neue Inhalte im Fach Mathematik. In der sechsten Klassenstufe steht die Bruchrechnung auf dem Programm, ab der siebten die Terme. Diese beiden Themen sind aus meiner Sicht die Stellen, an denen besonders viele Schüler:innen aussteigen.
Spannungen zwischen Schüler:innen und Lehrkräften
Regelmäßig knirscht es zwischen Lehrkräften und Kindern oder Jugendlichen. Das muss nicht immer absichtlich sein, manchmal passt einfach die Wellenlänge oder die Art zu erklären nicht. Immer wieder beobachte ich, wie sich nach dem Wechsel einer Lehrkraft die Probleme mit Mathe anscheinend in Luft auflösen.
Die Angst vor einer Lehrkraft kann zu Blockaden in Arbeiten und Klausuren führen. Die schlechten Noten verstärken dann bei der Lehrkraft eventuell den Eindruck, es mit einem hoffnungslosen Fall zu tun zu haben. Wir Lehrer:innen sind uns oft gar nicht bewusst, wie tief eine nebenbei gemeinte Bemerkung sich in den Gehirnen von Kindern und Jugendlichen festsetzen und dort zur Bildung destruktiver Glaubenssätze führen kann.
Lernkonzepte verschiedener Schultypen
Auch die Schulform hat einen Einfluss. Mein Referendariat habe ich noch an einer Hauptschule abgeleistet. Im Seminar lernten wir, möglichst viele Lernkanäle anzusprechen und Mathematik mit den Händen begreifbar zu machen. Meine eigenen Klassen habe ich später zum Beispiel einen Ar (10 Meter mal 10 Meter) mit Straßenkreide auf den Schulhof malen lassen. Am Ende stand die ganze Klasse in der Mitte des Quadrats und bewunderte ihr Gemeinschaftswerk.
Viele meiner heutigen Schüler:innen, die an den umliegenden Gymnasien zur Schule gehen, erzählen eher von einem akademischen Ansatz. Grundsätze werden zügig vorgetragen, Nachfragen sind eher nicht gerne gesehen. Niemand von ihnen hat zum Beispiel in der Bruchrechnungseinheit Papierstücke oder ähnliches zerschnitten.
An der Person Maria Montessori erscheinen bei näherer Betrachtung Schattenseiten. Das Mathematik-Lernmaterial würde allerdings vielen Schüler:innen, gerade auch an Gymnasien das Begreifen buchstäblich erleichtern. Gerade auch in der Mittelstufe sind Themen zum Beispiel wie Gleichungen nicht sehr anschaulich. Und es hilft erstaunlich viel, wenn dabei Kärtchen oder ähnliches angefasst, auf die andere Seite eines Gleichheitszeichens bewegt und dabei zur Vorzeichenumkehr umgedreht werden.
Was kaum jemand über Probleme mit Mathe sagt
Es ist nie zu spät. Nicht zum Auffüllen der Lücken und nicht, um die Freude an diesem Fach wiederzufinden.
Mathematik ist gar nicht so wichtig für den Rest des Lebens. Wer den Dreisatz und die Grundlagen der Prozentrechnung beherrscht, kommt mit dem größten Teil der alltäglichen mathematischen Herausforderungen zurecht. Eventuell hilft beim Heimwerken noch die korrekte Volumen- und Flächenberechnung.
Vieles aus dem Mathematikunterricht brauchst du nur für die nächste Arbeit oder Klausur. Und damit für deine Zeugnisnote. Also letztlich für deinen Abschluss und deine Chancen auf eine gute Karriere. Das können wir ehrlich anerkennen, ohne damit zu sagen, dass Mathe total bedeutungslos wäre. Diese Haltung nimmt auch ein bisschen den Erwartungsdruck.
Gleichzeitig tut es dem Gehirn gut, Mathematik zu lernen. Die Nebeneffekte sind ein gutes Verständnis für Logik und die Kompetenz, Probleme zu lösen. außerdem gilt: Wer Diagramme sicher lesen kann, ist weit weniger manipulierbar.
Es ist vieles nicht so schlimm, wie es aussieht. Mathematik ist in vielen Punkten eine Art Fremdsprache, die teils lange Geschichten in sehr kompakten Paketen aus Buchstaben und Zahlen ausdrückt. Wenn du die Vokabeln nicht lernst, ist es so ähnlich, als hättest du einen Text in einer unbekannten Sprache vor dir. Das heißt nicht, dass du Mathe grundsätzlich nicht verstehst, sondern dass dir Vokabeln fehlen, die du dir aneignen kannst.
Mathematik ist mehr als Türmchenrechnen. Es geht darum, Probleme zu lösen und die Welt wenigstens zu einem Teil besser zu verstehen. Je mehr wir uns von der Vorstellung lösen, dass wir nur ein paar Zahlen nehmen und in irgendeine Formel einsetzen, umso leichter fallen auch Textaufgaben. Denn die sind eigentlich ein viel sinnvolleres Abbild unserer Welt und unseres Alltags als reine Päckchen zum Abarbeiten.
Probleme mit Mathe aus meiner Sicht
Für mich als Nachhilfelehrerin bedeuten Probleme mit Mathe nicht, dass jemand kein Talent für dieses Fach hätte. Bisher habe ich in wirklich jedem Fall Aha-Momente miterlebt, in denen der jeweiligen Person klar wurde, dass das Allermeiste nicht so schwierig ist, wie es aussieht.
Vor kurzem sagte ein BWL-Student in einer Online-Nachhilfestunde wörtlich:
„Das ist alles? Das ist ja zu schön, um wahr zu sein!“
Und das nur, weil auch er geglaubt hatte, diese vielen Buchstaben seien zu kompliziert für ihn. Außerdem, weil in seiner Schulzeit offensichtlich nicht die Zeit war, die teils sehr kompakte Sprache der Mathematik zu klären.
Ich begleite junge Menschen dabei, in aller Ruhe und mit einer entspannten Haltung die Schlüssel zum Verstehen zu finden. Und ich wünsche mir diese Entspannung für noch deutlich mehr Menschen.
Was können wir tun?
Als Schüler:innen
Wenn du einen der Glaubenssätze bei dir oder bei Menschen in deinem Umfeld wieder erkennst: Versuche ihn zu hinterfragen. Ist es wirklich so, dass du Mathe nicht kannst? War dieses Fach schon immer so komisch, oder hat sich das im Lauf der Jahre so entwickelt? Hat es einen Lehrkräftewechsel gegeben, bei dem sich deine Beziehung zur Mathematik geändert hat?
Du musst deinen Lernerfolg und deine Freude am Lernen nicht an deinem Lehrer oder deiner Lehrerin festmachen. Auch wenn du von dieser Person abhängig bist, was die Noten angeht. Und auch wenn du nicht einfach die Lehrkraft austauschen kannst. Trotzdem hast du die Möglichkeit, von einer großen Zahl an Online-Ressourcen gegen Probleme mit Mathe zu profitieren. Es gibt Lernapps, Mathevideos und verschiedene andere Angebote, zum großen Teil kostenlos. Entscheide dich dafür, deinen Teil der Verantwortung für deine Lernfreude zu übernehmen.
Als Eltern
Betrifft es dein Kind? Dann lohnt es sich abzuklären, ob nicht doch eine Lernstörung vorliegt. Denn dann hilft auch alles Üben nur begrenzt weiter. Viele Lehrkräfte sind auch kooperativ, wenn du Kontakt mit ihnen aufnimmst. Als ich einmal ein Halbjahr lang sehr schlechte Arbeiten schrieb, hat meine Mutter meinen Lehrer angerufen und er war froh über dieses Gesprächsangebot. Neben der Überlegung, für dein Kind Nachhilfe zu buchen, hast du noch die bedeutenden Optionen, ein gutes Vorbild zu sein und außerdem möglichst frühzeitig durch Gesellschaftsspiele mathematische Grundsteine zu legen.
Als Lehrkräfte
Wenn du selbst eine Lehrkraft bist, hast du im System Bildung nur begrenzt Freiraum. Diesen bitte ich dich aber zu nutzen. Sei so offen gegenüber Fragen wie möglich, auch wenn sie gefühlt zum hundertsten Mal gestellt werden. Nimm dir extra Zeit für die Bruchrechnung und die Terme. Lass deine Schüler:innen Mathematik mit den Händen begreifen so oft es geht. Erinnere dich daran, warum du dieses wunderbare Fach studiert hast und versuche, deine Begeisterung dafür zu vermitteln. Und sei auf der anderen Seite so ehrlich, die Bedeutung der Mathematik nicht höher zu hängen, als sie ist.
Fazit: Wir haben mehr in der Hand, als wir denken.
Als Schüler:innen, Lehrkräfte und Eltern sind wir nur kleine Rädchen im Bildungssystem. Und gleichzeitig haben wir die Freiheit, uns für eine positive Haltung der Mathematik gegenüber und für unser Vorbildverhalten zu entscheiden.
Wenn wir uns von den gängigen Glaubenssätzen verabschieden und gleichzeitig die Bedeutung der Mathematik realistisch einschätzen, dann wird aus einem angstbesetzten Fach hoffentlich für viele von uns die ermächtigende Errungenschaft der Menschheit, die sie am Ende ist.
Wie stehst du zur Mathematik?
Gab es in deiner Schulzeit Probleme mit Mathe? Hast du eine Vorstellung, woran das lag?
Wenn es Schwierigkeiten gab: Was hätte dir geholfen?



Schreibe einen Kommentar