Ich bin neulich auf die Blogparade #DieZukunftIsstVegan aufmerksam geworden. Sandra Hoppenz fragte schon im November 22 nach meiner Motivation, vegan zu leben. Bei dieser Einladung fällt mir so viel ein, dass die größte Herausforderung sein wird, mich kurz zu fassen 😄 Ein bisschen episch wird das hier aber wohl werden.
Wie und warum wurde ich vegan?
Zunächst habe ich 17 Jahre lang vegetarisch gelebt. 1995 habe ich nach einer Fernsehdiskussion über Tiertransporte mit Manfred Karremann beschlossen, kein Fleisch mehr zu essen, weil ich glaubte, das wäre ein effektiver Beitrag gegen das dokumentierte Tierleid.
Erst 2012 wurde mir mein Irrtum klar. Und zwar durch eine weitere Talkshow mit Herrn Karremann über Legehennen. Und dass die Probleme (z.B. Kükentöten oder Schnabelkürzen) im System an sich liegen und nicht am auf dem Etikett ausgelobten Maß an „Tierwohl“.
Eine Recherche über die Auswirkungen von Milchkonsum auf die betroffenen Tiere (z.B. die männlichen Kälber) sorgte dafür, dass ich komplett auf vegane Ernährung umstellte.
Mein Einstieg in den Veganismus war also mein Bedürfnis nach Gerechtigkeit. Inzwischen sind Umwelt und Klima weitere wichtige Motivationen.
Gesundheitsapekte sind für mich persönlich weniger von Bedeutung. Allerdings bin ich Teil einer Gruppe, die über den Zusammenhang zwischen der Tierhaltung und zoonotischen Infektionskrankheiten aufklärt.
Was ist veganes Leben überhaupt?
Meine Definition von veganem Leben schließt sich dem Original an. Die ursprüngliche Bedeutung von Veganismus deckt für mich am plausibelsten und lebensnächsten ab, worum es mir geht:
„Veganism is a philosophy and way of living which seeks to exclude—as far as is possible and practicable—all forms of exploitation of, and cruelty to, animals for food, clothing or any other purpose; and by extension, promotes the development and use of animal-free alternatives for the benefit of animals, humans and the environment. In dietary terms it denotes the practice of dispensing with all products derived wholly or partly from animals.“
The Vegan Society
Veganes Leben ist also mehr als nur pflanzliche Ernährung. In sehr vielen Produkten des täglichen Lebens stecken unerwartete tierische Anteile. Es geht auch nicht darum, zu 100 % Tierleid auszuschließen, sondern sich so weit es machbar ist, dem Ideal anzunähern, Tiere nicht auszubeuten. Weil wir in einem nichtveganen System leben und auch weil das Leben von Tiere in der freien Natur nicht leidfrei ist, ist alles andere illusorisch.
Die Entwicklung und Unterstützung von Alternativen ist auf dem Weg entscheidend. Die wenigsten von uns möchten gerne die komplette Askese leben. Und dazu gibt es auch keinen Grund, denn es werden immer mehr Produkte und Konzepte entwickelt, mit denen wir Kleidung, Nahrung, Unterhaltung oder andere Dinge genießen können, ohne dafür Tiere halten zu müssen. Wer auf ein pflanzenbasiertes Leben umstellt, darf sich das so schön und leicht wie möglich machen.
Was hat veganes Leben mit Verzicht zu tun?
Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus wenig bis nichts. Ich habe 2012 die letzten zwei Stücke Käse aus dem Kühlschrank noch aufgegessen, und schlimme Entzugserscheinungen befürchtet. Er ist für sehr viele Menschen der letzte Schritt auf dem Weg. Fast alles schmeckt überbacken leckerer, jedenfalls sind die meisten von uns darauf konditioniert.
Meine Tipps zum Thema Käse:
- Wenn ich versuche, ihn 1:1 zu ersetzen, ist die Enttäuschung oft vorprogrammiert. Sinnvoller ist es, ganz neue Produkte oder Kombinationen zu finden, die auch und anders lecker sind.
- Wichtig ist eigentlich das Geschmackserlebnis Umami. Das lässt sich auch durch gutes Würzen erreichen.
- Mit Hefeschmelz oder der Sauce eines vielzitierten Mac-and-Cheese-Rezeptes lassen sich Gerichte lecker überbacken. Hefeflocken sind der Gamechanger.
- Sandwiches lassen sich mit Tofu in Scheiben belegen oder mit einer der unzähligen Aufstrichsorten bestreichen, am liebsten mit Hummus.
Besonders toll an den vielen veganen Menschen ist ihre Kreativität. Wer sich eine Alternative zu einem Rezept wünscht, wird mit großer Wahrscheinlichkeit online einfach mit der Suchformel „Rezeptname vegan“ fündig oder unter dem Hashtag #veganmakeit. Als ich noch auf Twitter war, habe ich im Rahmen dieser Aktion zum Beispiel den folgenden Nachtisch entwickelt.
Ob die Umstellung sich letztlich nach Verzicht anfühlt oder nicht, liegt weniger in der Natur der Sache, und hauptsächlich in der Haltung und Motivation der jeweiligen Person. Wenn ich mich schwerpunktmäßig aus Gesundheitsgründen oder der Umwelt zuliebe für pflanzliche Ernährung interessiere, vermisse ich tendenziell manche Dinge stärker.
Ich erlebe mich als Teil einer Gerechtigkeitsbewegung. Seitdem sehe ich manche Dinge gar nicht mehr als Lebensmittel. Am Ende hilft auch die Zeit und etwas Geduld und Nachsicht mit sich selbst.
Oft höre ich die Frage, warum es vegane Würstchen geben muss. Oft von den gleichen Menschen, die von sich sagen, sie könnten nicht vegan werden, weil sie nicht auf Würstchen verzichten möchten. Dass sie den Widerspruch dazwischen nicht sehen, wird für mich immer faszinierend bleiben.
Genau zu diesem Zweck existieren vegane Convenienceprodukte: Damit Menschen nicht ohne Not verzichten müssen.
Wie sieht es mit meinem Umfeld aus?
Als Vegetarierin bin ich nur selten auf Widerstände gestoßen. Kein Fleisch zu essen wird relativ bereitwillig akzeptiert. Als Veganerin wurde es zunächst komplizierter, auch weil ich in einer ländlichen Region lebte, in der Nudeln mit Shrimps im italienischen Restaurant schon unter „vegetarisch“ durchgingen.
Ich war in meinem Bekanntenkreis die einzige Veganerin. Selbst mein Mann lebte nicht einmal vegetarisch. Wir haben uns gegenseitig nicht reingeredet und wenn ich mal einen Kuchen mitbrachte, kam das immer gut an. Ich fühlte mich aber trotzdem immer etwas außerhalb.
Ich wollte auch mein privates Umfeld nicht mit meinen ethischen Bedenken behelligen. In meiner Familie sind noch ein paar mehr Personen auch vegan, allerdings leben sie alle weit entfernt.
Der Umzug nach Halstenbek hat einiges leichter gemacht. In Hamburg habe ich Anschluss an eine Gruppe für Straßenaktivismus gefunden. Nicht ganz so alleine zu sein, macht für das Lebensgefühl eine Menge aus.
Durch die Begegnung und die Gespräche mit den Menschen auf der Straße habe ich eine Menge gelernt über gesellschaftliche Veränderungen, psychologische Phänomene wie kognitive Dissonanz und Reaktanz und generell über Landwirtschaft und Ernährung.
Ich beschäftige mich seitdem insgesamt mehr mit Gerechtigkeit, auch in anderen Zusammenhängen. Ich habe angefangen, regelmäßig demonstrieren zu gehen und sogar selbst Demos angemeldet.Auf jeden Fall beschäftigt mich das Thema immer noch genug, um mich sehr über diese Blogparade zu freuen.
Welche Stolperfallen sind möglich?
Ich habe selbst keine Allergien. Bei meiner Mutter sehe ich, wie einschneidend es ist, stark auf kleinste Spuren von Soja zu reagieren. Vor Menschen, die Unverträglichkeiten haben, und trotzdem vegan leben, ziehe ich meinen Hut. Sich rein pflanzlich zu ernähren ist definitiv für manche Menschen schwieriger als für mich.
Es gibt eine US-basierte Untersuchung zur Frage, was Menschen dazu bringt, nicht mehr vegan zu leben. Besonders bemerkenswert daran finde ich, dass 63% der Ex-Vegetarier:innen bzw. Veganer:innen angaben, dass sie nicht mehr vom Mehrheitsbild in ihrem Umfeld abweichen wollten. Am Ende hat sie also sozialer Druck dazu gebracht, sich gegen ihre inneren Werte zu entscheiden. Ich kann das gut verstehen, es ist gleichzeitig sehr traurig,
In meinem Outreach erlebe ich auch immer wieder Jugendliche, die gerne vegan wären, deren Eltern allerdings dagegen sind. Es gibt noch mehr Menschen, die relativ wenig darüber entscheiden können, welche Art Produkte sie konsumieren. Auch in diesen Fällen habe ich großen Verständnis, dass ein Abhängigkeitsverhältnis veganes Leben schwierig bis unmöglich macht.
Auf jeden Fall sollte sich niemand ohne jegliche Informationen ins Abenteuer stürzen. Eine solide Grundlage in Makro- und Mikronährstoffen ist wichtig, nebenbei bemerkt allerdings auch für nichtvegane Menschen. Genauso sollte sich niemand auf Mythen über Vitamin B12 verlassen und damit einen Mangel mit irreversiblen Nervenschäden riskieren. Niemand profitiert von solchen Experimenten, besonders nicht die Tiere.
Warum ist eine pflanzenbasierte Ernährung so existenziell wichtig?
Es gibt dafür eine Reihe Gründe. Von den ethischen Bedenken rund um die Tierhaltung mal abgesehen geht es um Folgendes:
Ressourcen
Um Tierprodukte zu erhalten, brauchen wir pflanzliches Futter. Durch den sogenannten „Veredelungsverlust“ braucht tierbasierte Ernährung braucht immer mehr Land, mehr Dünger und je nachdem, von welchen Pflanzen wir uns ernähren, oft auch mehr Wasser. Länder wie Deutschland beanspruchen große Flächen Land in anderen Regionen. Mit einer pflanzenbasierten Ernährung könnten wir das reduzieren.
Daraus entstehen Probleme wie Landgrabbing und Konflikte um Wasser in jetzt schon dürren Regionen. Je mehr wir uns zur Produktion von Nahrung und Futterpflanzen ausbreiten, und je mehr die globale Temperatur steigt, umso mehr beschleunigt sich auch das Artensterben.
Die EAT Lancet Kommission hat die sogenannte Planetary Health Diet erarbeitet. Diese Ernährung berücksichtigt unsere Ressourcen, Ernährungstraditionen und eine bedarfsdeckende Zusammensetzung. Sie sieht drastisch weniger Tierprodukte vor als heute durchschnittlich üblich.
Klima
Je höher der Anteil an Pflanzen in unserer Ernährung ist, umso weniger tragen wir zur Klimaerwärmung bei. Auch Milchprodukte sorgen im Vergleich für relativ hohe Treibhausgasemissionen. Deswegen ist eine lacto-vegetarische Ernährung für das Klima tatsächlich nicht die beste Lösung.
Natürlich ist es immer sinnvoll, sich regional und saisonal zu ernähren. Allerdings macht der Transport an der Klimabilanz eines Produktes einen eher kleinen Anteil aus.
Zoonosen und resistente Erreger
Zoonosen sind Infektionskrankheiten wie zum Beispiel COVID19 oder die Grippe. Sie werden zwischen Tieren und Menschen ausgetauscht, wenn Kontakte stattfinden und die Erreger in der Lage sind, die Artgrenze zu überwinden. Das Risiko für den Ausbruch wird durch den Wildtierhandel, die Haltung vieler Tiere auf begrenztem Raum, durch Umweltzerstörung und landwirtschaftliche Erschließung neuer Flächen erhöht.
Auch hier gilt die Faustregel: Je höher der Anteil an Pflanzen in unserer Ernährung, umso besser.
Belastung der Mitarbeitenden in Schlachthöfen
In Schlachthöfen zu arbeiten, ist körperlich und psychisch belastend, besonders der Schlachtprozess an sich. In der frühen Zeit der Coronapandemie waren die teils erschreckenden Arbeitsverhältnisse plötzlich häufig in den Nachrichten.
Seitdem sind hoffentlich die Auswüchse des Subunternehmertums zurück gegangen. Die grundlegenden Probleme (u.a. Kälte, harte Arbeit, geringe gesellschaftliche Wertschätzung und Fachkräftemangel) sind allerdings systemisch begründet.
Zusammenwirken der Faktoren
Einige dieser Problemfelder hängen zusätzlich noch komplex miteinander zusammen. Mit anderen Worten: Die Umstellung auf eine pflanzenbasierte Ernährung ist ein Hebel, der an mehreren Stellen gleichzeitig die Zukunftsaussichten der Menschheit verbessern kann.
Um unsere Zukunft zu schützen, ist jede Reduktion ein Schritt in die richtige Richtung. Jedes eingesparte Gramm CO2 hilft. Aus Sicht des individuellen Tieres ist dagegen eine vollständige Reduktion ideal.
Hier liegt der Unterschied zwischen veganem und pflanzenbasiertem Leben, zwischen ethischer Motivation und Umweltschutz. Allerdings ist es auch aus Klimasicht logisch am besten, wenn die maximal mögliche Menge Treibhausgase eingespart wird.
Noch mehr Informationen findest du beim Bundesumweltamt, auf Landwirtschaft Jetzt und bei Menschen Tiere Pandemien.
#DieZukunftIsstVegan – Wie blicke ich nach vorne?
Aktuell bin ich eher skeptisch, was die Zukunftsaussichten der Menschheit angeht. Diverse Krisen stapeln sich und wir handeln, wenn überhaupt, ziemlich unentschlossen. Eine Umstellung auf Pflanzenkost ist nicht das Einzige, was wir machen sollten. Gleichzeitig ist sie individuell gesehen für die meisten von uns einfach und schnell umzusetzen.
Auf der anderen Seite sehe ich, dass sich langsam Dinge bewegen. Dass Zusammenhänge bekannter und bewusster werden. Alleine, dass Sandra zu dieser Blogparade #DieZukunftIsstVegan aufgerufen hat, gibt mir wieder mehr Hoffnung.
Solange ich es kann, werde ich meinen Teil dazu beitragen, dass Menschen in meinem Umfeld bestmöglich informierte Entscheidungen treffen können. So wie mit diesem Artikel, der noch deutlich länger hätte werden können, hätte ich mich nicht so tapfer auf die allerwichtigsten Punkte beschränkt 😉
Wie sieht es bei dir aus, machen dir die aktuellen Krisen Sorgen? War dir bewusst, wie umfassend sie auch von der Tierhaltung beeinflusst werden? Wenn du selbst nicht vegan lebst, was bräuchte es, damit der Weg dorthin für dich wünschenswert und ein bisschen leichter wäre?
Schreibe einen Kommentar