Lebende Sprachen ändern sich. Auch wenn mir das im Grunde bewusst ist, bin ich nicht von jeder Veränderung gleichermaßen begeistert. Nicole Isermann hat freundlicherweise zu einer Blogparade unter dem Titel #BlogparadeSprachverhunzung aufgerufen. Für mich die Gelegenheit, mir mal ein bisschen was von der Seele zu reden. Oder?
Disclaimer: Nach diesem Beitrag wurde mir klar, dass die Frage nach meinem Standpunkt zum Gendern von den eigentlich existenziellen Fragen ablenkt. Dass diese Debatte unnötig Zeit und Energie verschwendet. Mehr liest du dazu in meinem abschließenden Beitrag zum Gendern.
Ich lasse diesen Post trotzdem stehen, weil ich immer noch zu den Aussagen darin stehe. Vor allem dazu, dass ich mir für uns mehr Nachsicht, Solidarität und Gelassenheit miteinander wünsche.
Wie ich zu Sprachen stehe
Mein Zugang zu Sprachen ist einerseits ästhetisch, andererseits aber auch ziemlich analytisch. Ich finde es schön, wenn alles nahtlos zusammenpasst und Sinn ergibt. Das Baukastenprinzip der deutschen Sprache ist für mich schon fast ASMR, ein gelungenes Gedicht fühlt sich genauso gut an wie eine Matheaufgabe, die glatt aufgeht.
Ich beobachte auch sehr fasziniert, wie kreativ meine Schüler:innen, die inzwischen mehr als dreißig Jahre jünger sind als ich, mit Begriffen umgehen. Wie sie verschiedene Sprachen mischen und Worten neue Bedeutungen geben. Sprachen ändern sich und oft empfinde ich diesen Prozess als Ausdruck von Lebendigkeit und Bereicherung. Genauso, wie sich die Evolution nicht aufhalten lässt, ist es aussichtslos, darauf zu hoffen, dass sich weder unser Vokabular noch die Grammatik ändern.
Was mich stört
Und doch gibt es ein paar Dinge, bei denen ich innerlich quietsche. Und zwar dann, wenn Dinge nicht zusammenpassen. Dass das Genitivobjekt auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit ist, nehme ich ja noch hin. Das ist einfach eine Weiterentwicklung. Auch wenn etwas „zu Genüge“ passiert oder „im guten Zustand“ ist, zucke ich nur kurz zusammen 😉 Was ich allerdings richtig unangenehm finde, ist zum Beispiel Folgendes:
„Dann habe ich ’nen Buch gelesen.“
Ich verschleife beim Sprechen auch manches. Teils regional bedingt, teils aus ökonomischen Gründen. Allerdings spare ich beim Wechsel von „ein XY“ zu „’nen XY“ keine einzige Silbe. Diese Konstruktion ist aber oft zu hören oder lesen, und ich frage mich regelmäßig, was die Motivation dahinter ist.
„Das Kommentar war echt gemein!“
Ursprünglich habe ich besonders in Onlinediskussionen oft von „das Kommi“ gelesen. Die Verniedlichung mag ja noch das Neutrum nahe legen. Irgendwann kehrte allerdings das unverkürzte Wort als „das Kommentar“ zurück. Und der Kommentar ist nicht der Einzige, dessen Genus ohne Not und ohne Vorwarnung vertauscht wird.
„Diese Sache hat seinen Preis.“
Diese Vermischung finde ich wirklich unästhetisch. Und sie fällt mir relativ oft auf. Ein feminines Wort hat häufig aus unerfindlichen Gründen „seine“ Zeit, Bedeutung, Ursache oder was auch immer. Diese grammatikalische Überraschung finde ich besonders anstrengend und unerklärlich.
„Dreimal mehr als vorher.“
Diese Formulierung hat sich dermaßen etabliert, dass ich bei der Werbung für Nurofen jedes Mal wohlig aufatme, wenn mir erzählt wird, dass der Wirkstoff „zweimal so schnell“ aufgenommen wird. Dreimal wie viel mehr? Falls es sich um 100% handelt, dann wäre das doch viermal so viel. Oder nicht?
Was mich stört, sind solche nicht passenden und unlogischen Bezüge. Besonders dann, wenn sie gleichzeitig überhaupt nicht nötig sind. Ich kann ’n Buch lesen, den Kommentar schreiben und jede Sache hat ihren Preis. Die Dinge so zu formulieren, kostet keine zusätzliche Energie oder Konzentration.
Auch andere Sprachen ändern sich. So ist es vermutlich nicht mehr aufzuhalten, dass es auf Englisch irgendwann offiziell heißt ‚“I could care less“ oder „I would of said something“. Zu diesem Effekt gibt es übrigens auch Studien: Falsche Grammatik zu hören, kann körperliche Stressreaktionen auslösen.
Was ich anderen zumute
Manchmal ist es anders herum. Ich gehöre zu der Gruppe, die schriftlich gerne das Gendersternchen oder den Doppelpunkt im Wort verwendet und sich nicht daran stört, wenn andere den Glottisschlag sogar aussprechen. Das passiert mir sogar selbst immer öfter 😉 Wie Fresh Torge es formuliert: „Sag mal Rührei!“ Zusätzlich konsumiere ich gerne vegane Würstchen und Hafermilch.
Nicht alle sind von Konstruktionen dieser beiden Arten begeistert. Das ist mir bewusst. Und ich kann mir auch vorstellen, dass diese Menschen sich davon genauso gestresst fühlen wie ich, wenn jemand wieder „’nen Bild gemalt“ hat.
Was wir daraus machen können
Sprachentwicklung aufhalten zu wollen, ist unrealistisch. Aus meiner Sicht würde ich mir wünschen, dass wir alle auf dem Schirm haben, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Formulierungen unterschiedlich gut oder schlimm finden. Und dass wir alle an der Stelle etwas durchatmen und die Art, wie die andere Person redet, nicht persönlich auf uns beziehen. Vielleicht sogar umso mehr hören, was sie uns inhaltlich sagen will.
Ich selbst kann natürlich nur an meiner eigenen Einstellung arbeiten. Diese Blogparade war eine wunderbare Gelegenheit, dafür meine Gedanken zu sortieren. Und eine Anregung, mal wieder mein Prioritätenbord zu betrachten. Und wenn das nächste Mal jemand in meinem Umfeld sprachlich wieder besonders kreativ ist, einfach extra tief durchzuatmen.
Wie siehst du das?
Gibt es sprachliche Entwicklungen oder Formulierungen, die dir auf die Nerven gehen? Oder würdest du dir mehr Gelassenheit gegenüber neuen Ausdrücken wünschen? Oder geht es dir wie mir und du erlebst beides?
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