Startseite » Warum Lernen politisch ist
lernen ist politisch: Photo von einer Plüscheule mit einem schwarzen Doktorhut. Sie sitzt auf einem blau-gelben Pappschild, auf dem Frieden steht. Im Hinergrund lehnt ein weiteres Pappschild, darauf steht Climate Justice now

Warum Lernen politisch ist

Lernen ist nicht nur echt krass, eine Pflichtveranstaltung oder ein Hobby für ein paar Nerds. Lernen ist auch grundsätzlich politisch.

Für meine To-Want-Liste 4/24 habe ich beschlossen, mich deutlicher zu positionieren. Die Folge 184 von Piratensender Powerplay ist dafür ein guter Aufhänger. Unter dem Titel „Blaue Machtergreifung und grüne Ohnmacht“ besprechen Friedemann Karig und Samira El Ouassil die Folgen der Landtagswahlen 2024 für die Demokratie und für die Grünen. An der Stelle wurde mir klar:

Sehr viel Potential für Selbstwirksamkeit verpufft in der Realität, wenn wir als Menschheit wichtige Lektionen nicht lernen.

Deshalb beleuchte ich in diesem Blogpost die Verzahnungen zwischen Bildung, Wissen und Lernen einerseits und Politik und Demokratie andererseits. Dabei gehe ich auf ein paar ausgewählte Problemfelder ein. Ich berichte aus meinen Erfahrungen und Beobachtungen und schreibe am Ende, welche Schritte und Haltungen ich mir von den unterschiedlichen beteiligten Gruppen wünsche.

Was bedeutet „Lernen“?

Langversion

Wortbedeutung

Das Wort „lernen“ kommt vom gotischen lais. Das hieß so so viel wie „ich bin wissend geworden, ich habe erfahren“. Im Alltag denken wir bei Lernen hauptsächlich an Fächer wie Mathematik, Deutsch und Englisch. Kinder lernen aber Dinge wie Laufen, Schleifebinden, Benehmen und Fahrradfahren meist lange bevor sie in die Schule kommen.

Die Psychologie versteht unter „lernen“ den „Prozess des relativ dauerhaften Aufbaus und/oder der Veränderung von Verhaltensdispositionen aufgrund von Erfahrungen“. Es gibt systematisches und zielgerichtetes Lernen wie im Bildungssystem. Dort sind Lernziele und erprobte Lernmethoden vorgegeben. Daneben lernen wir Menschen allerdings unser Leben lang durch Ausprobieren und Erfahrungen, genau wie Pflanzen und andere Tiere.

Wie lernen wir?

Je nach Rückmeldung der Umwelt werden diese Erfahrungen im Gehirn abgespeichert. Und je nach den Umständen während der Lernerfahrung, der Häufigkeit der Wiederholung und der Aufnahmekapazität des Gehirns werden die neuen Informationen mehr oder weniger dauerhaft in neuen neuronalen Verbindungen abgelegt.

Auf der anderen Seite gehören auch das Vergessen und das Verlernen dazu. Die gute Nachricht: Was wir einmal gelernt haben, müssen wir nicht lebenslang beibehalten. Auch in hohem Alter sind wir Menschen noch in der Lage, Gehirnzellen neu zu verbinden, obwohl diese sogenannte Plastizität des Gehirns mit den Jahren allmählich nachlässt.

In einer Studie des UKE Hamburg haben zum Beispiel Menschen zwischen 50 und 67 Jahren jonglieren gelernt. Parallel wurde beobachtet, dass ihre Gehirne darauf reagierten. Die Regionen, die mit dem Lernen zusammen hängen, vergrößerten sich.

Grundsätzlich gibt es beim Lernprozess keine Wertung: Wir können hilfreiche Dinge lernen, aber auch solche, die für uns Nachteile bringen. Das können zum Beispiel Verhaltensweisen sein, die wir in traumatischen Situationen gelernt haben. Diese waren in der Situation wichtig und haben für uns etwas sicher gestellt. In den meisten anderen Situationen stehen wir uns damit eher im Weg oder schaden anderen.

Ich konzentriere mich für diesen Blogbeitrag auf das Lernen von Dingen, die sachlich richtig oder für uns oder unsere Umwelt sinnvoll und wichtig sind. Damit sind aber nicht nur Lernfächer wie Mathematik oder Erdkunde gemeint, sondern besonders auch Verhaltensweisen, Werte und soziale Kompetenzen.

Was hilft beim Lernen?

Wie effektiv ein Lernprozess abläuft, hängt ab von:

  • der individuellen Begabung
  • dem Vorwissen
  • der Motivation zum Lernen
  • der Aufmerksamkeit des Gehirns
  • der Offenheit für neue Informationen
  • der entspannten Atmosphäre
  • der Erwartung, dass das neu Gelernte für uns einen Vorteil bietet
  • dem Ort und der Zeit
  • dem Vertrauen in die Informationsquelle oder die Lehrenden
  • der Wiederholung
  • dem Gleichgewicht zwischen Herausforderung und Unterstützung
  • wie handfest die Lernerfahrung ist

Was macht Lernen mit uns?

Entweder gewinne ich neues Wissen, an dem ich meine Handlungen neu ausrichte. Oder das Lernen bestätigt meine bisherigen Kenntnisse. Dann kann ich meine Handlungsweisen beibehalten, aber auf einer neuen Haltung basierend.

Woran erkenne ich einen erfolgreichen Lernprozess? Daran dass ich mit komplexen Situationen und Widersprüche in Alltag leichter und gelassener umgehe. Wiederholungen der Lektionen mit positiven Rückmeldungen verstärken die Verankerung im Gehirn.

Beim Lernen stoßen wir oft auf ein Paradox: Je mehr Wissen wir erwerben, um so stärker wird uns oft bewusst, was wir nicht wissen. Über mein Verhältnis zum Nichtwissen, habe ich den Blogbeitrag „Was ich nicht weiß“ geschrieben. Darin liest du, wie mich perönlich Nichtwissen gleichzeitig irritiert und beflügelt. Unterm Strich wird das, was wir nicht wissen, immer mehr sein als unser Wissen.

Was bedeutet „politisch“?

Das Wort „politisch“ geht zurück auf „pólis“ (griechisch: Burg, Stadt, Staat). Es bedeutet „auf die Politik bezogen“, aber auch „klug“. Für mich heißt der Satz „Lernen ist politisch“, dass ein Grundschatz an Wissen, Bildung und konstruktiven Verhaltensweisen wichtig für unser Zusammenleben ist. Im Extremfall ist es sogar wichtig für das Überleben einer Gesellschaft. So gesehen ist Lernen tatsächlich auch klug.

Lernen ist ein Privileg

Lernen war schon immer politisch. Schon in der Antike gab es Schulen, allerdings wurden dort längst nicht alle Kinder unterrichtet. Bildung war zum Beispiel im antiken Griechenland Kindern aus freien Familien vorbehalten. Immerhin durften ab dem Hellenismus auch Mädchen am Unterricht teilnehmen.

Schulpflicht in Deutschland

Das Ziel der Bildung änderte sich historisch gesehen immer wieder. Und erst zwischen dem 16ten und 18ten Jahrhundert wurde in verschiedenen deutschen Regionen eine Schulpflicht eingeführt. Die Gesetze dahinter waren allerdings eher ein Flickenteppich und nicht nachhaltig durchsetzbar.

Erst mit der „Verfassung des deutschen Reichs“ wurde am 11. August 1919 Folgendes festgelegt:

„Es besteht allgemeine Schulpflicht. Ihrer Erfüllung dient grundsätzlich die Volksschule mit mindestens acht Schuljahren und die anschließende Fortbildungsschule bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahre. Der Unterricht und die Lernmittel in den Volksschulen und Fortbildungsschulen sind unentgeltlich.“

Bildungsgerechtigkeit

In Deutschland haben seitdem alle Kinder einen Anspruch auf Lernen. Wenigstens theoretisch könnte seitdem Bildungsgerechtigkeit bestehen. In der Realität ist allerdings das deutsche Bildungssystem immer noch nicht für alle Kinder gleich durchlässig. Der Bildungsbericht Deutschland 2022 erfasst drei sogenannte „Risikolagen“: Gering qualifizierte Eltern, erwerbslose Eltern oder finanzielle Risikolagen.

Mit anderen Worten: Kinder akademischer und wirtschaftlich erfolgreicher Eltern haben es leichter, selbst einen akademischen Abschluss zu erreichen und im Anschluss eine lukrative Karriere zu starten. Migrationshintergründe sind immer noch eher Hindernisse auf dem Weg zu einem gut bezahlten Beruf. Natürlich muss nicht jeder Mensch promovieren. Gerecht wäre es aber, wenn wir eine echte Chancengleichheit hätten.

Einfluss des Bildungsstandes der Eltern auf die Laufbahn von Kindern1

Der Sektor der Privatschulen wächst, genauso wie der Nachhilfemarkt. Damit diese nicht nur wohlhabenden Familien offen steht, gibt es politische Forderungen nach einem Rechtsanspruch auf Nachhilfe, um effektives Lernen für alle zu sichern.

Inklusion ist ein weiteres Problemthema in Deutschland. International wird Teilhabe am Lernen als Menschenrecht eingestuft. In der Praxis ist der Weg dorthin in Deutschland noch weit. Raul Krauthausen ist ein bekannter Aktivist für wirkliche Inklusion behinderter Menschen, nicht nur aber auch an Schulen.

Ich beobachte als Nachhilfelehrerin direkt, wie neurodivergente Kinder und ihre Eltern regelmäßig von Schulen und Schulämtern hängen gelassen werden. Wie der rechtlich zugesicherte Nachteilsausgleich aus organisatorischen Gründen nicht gewährt wird. Wie Dyskalkulie nicht ernst genommen wird und Kinder stattdessen durch Schimpfen und zusätzlichen Druck unnötig verunsichert werden. In diesem Bereich ist Saskia Niechzial eine gute Quelle, besonders in ihren Social-Media-Auftritten.

Internationaler Vergleich

In manchen anderen Regionen der Welt ist die Lage noch dramatisch schlimmer. Hier nur drei Beispiele:

In Kenia sorgen frühe Verheiratungen, Schwangerschaften und hohe Gebühren der weiterführenden Schulen dafür, dass viele Mädchen frühzeitig aus der Schulbildung aussteigen. Das ändert sich aktuell praktisch nur durch private Initiativen.

In Afghanistan sind Frauen und Mädchen seit der Machtergreifung der Taliban 2021 großenteils aus dem öffentlichen Leben verbannt. Der Besuch der Sekundarstufe ist jugendlichen Mädchen verboten.

Kinder in Kriegsgebieten wie derzeit in Gaza, können oft nicht lernen, weil ihre Schulen schlicht zerstört worden sind. Stattdessen kämpfen ihre Familien buchstäblich um das Überleben. Selbst wenn irgendwann der Krieg vorbei sein wird, fehlen den betroffenen Generationen Jahre, in denen sie hätten lernen sollen.

An diesen extremen Negativbeispielen gemessen geht es dem deutschen Bildungssystem gut. Und gleichzeitig knirscht es schon lange an allen Ecken und Enden. Von idealer Bildungsgerechtigkeit möchte ich hierzulande nicht sprechen.

Außerdem hat Bildung und faktenbasiertes Denken manchmal nicht den angemessenen Stellenwert. Die regelmäßig schlechten PISA-Ergebnisse zeigen jedenfalls, dass wir noch viel zu verbessern haben.

Lernen hängt an der Politik

Die Pandemie

Wie politisch Lernen ist, haben wir in den Pandemie-Jahren gesehen. Um Schulschließungen wurde ausführlich debattiert, und auch im Rückblick sind wir uns noch nicht einig, welche Entscheidungen im Bildungsbereich angemessen waren. Politiker:innen mussten zwischen mehr Beschränkungen für die Wirtschaft oder für Schulen abwägen. In Deutschland haben sie dabei längere Schulschließungen beschlossen.

Die Auswirkungen sehe ich jetzt im Tagesgeschäft. Und ich habe damals miterlebt, wie unterschiedlich Online-Unterricht lief. In manchen Fächern ertranken meine Schüler:innen in Aufgaben, in anderen Fällen hörten sie nur selten von der Lehrkraft. Oft hing der Lernerfolg davon ab, wie gut die Internetverbindungen waren. Und manche Kinder sind von komplett selbstorganisiertem Lernen am Computer überfordert.

Schulen hätten zum Beispiel auch mit Luftfiltern ausgestattet werden können. Zusammen mit regelmäßigem Lüften hätte dadurch die Aerosolbelastung stark gesenkt und Anwesenheitsunterricht ermöglicht werden können. In Schulen wurden allerdings eher selten Luftreinigungsgeräte aufgestellt, und das bezahlen die jetzigen Schüler:innen mit teils großen Lücken.

Aus meiner Sicht wurde in der Pandemiephase mal wieder an den Schulen gespart. Unter anderem, weil erfahrungsgemäß wenig Gegenwehr zu erwarten war.

Der Flickenteppich der Bildungspolitik

Ein weiteres langes Thema sind die großen Unterschiede zwischen den Bundesländern. Kultusministerien wollen ihren Einfluss nicht abgeben. Deswegen hören Schüler:innen nach einem Umzug manchmal, dass sie zum Beispiel eine Sprache zu wenig gelernt haben, um jetzt nahtlos an einer neuen Schule aufgenommen zu werden.

Das Chaos um die Entscheidung zwischen G8 und G9 wäre noch eine weitere lange Geschichte in diesem Bereich.

Woran Inklusion häufig scheitert

Behinderte Schüler:innen haben einen Anspruch auf Nachteilsausgleich. Der Utnerschied zwischen Theorie und Realität ist aber fustrierend groß. Oft gibt es zum Beispiel einen ruhigen Extraraum. Dieser wird leider im alltäglichen Schulbetrieb manchmal trotzdem anders verwendet, unter anderem als Gruppenarbeitsraum für nicht behinderte Kinder.

Von 2005 bis 2014 war ich selbst Lehrerin an verschiedenen Schulen. Inklusion bedeutete für uns Lehrkräfte, dass uns mehr oder weniger ohne große Erklärung Kinder mit Förderbedarf zugeteilt wurden und wir dann für den größten Teil der Inklusion selbst zuständig waren, neben dem sonstigen Unterricht.

In meinem Fall kam eine Förderschullehrerin für meistens zwei Stunden in der Woche und nahm meine Inklusionsschülerin für Einzelsitzungen mit. Wir haben uns oft abgesprochen, mit welchem Material ich die Schülerin unterrichten sollte. Ohne diese Kollegin hätte ich mir das alles selbst überlegen müssen. Die Lehrkräfte der ehemaligen Förderschule mussten außerdem zwischen den Lernorten ihrer Schüler:innen hin und her fahren.

Die Grundidee hinter der Inklusion ist sehr wichtig: Kinder mit verschiedenen Bedürfnissen sollten an Bildung gleichermaßen teilhaben. Das gemeinsame Lernen könnte dabei für alle Beteiligten wertvoll und fruchtbar sein. Im Idealfall würde nicht nur der reine Lehrstoff vermittelt, sondern zusätzlich Werte wie Gerechtigkeit, Solidarität und ein unvoreingenommenes Miteinander.

In der Praxis ist die Inklusion für Kinder mit Förderschwerpunkt Lernen hauptsächlich leider eine Sparmaßnahme. Jedenfalls wenn sie so läuft, wie zu meiner Zeit als Lehrerin in Schleswig-Holstein oder wie ich sie auch jetzt manchmal beobachte,

Woran Durchlässigkeit häufig scheitert

Nicht alle Lehrkräfte sind auf das Thema Bildungsgerechtigkeit vorbereitet. Was Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund erleben, erzählt die Episode mit Burak Yilmaz aus dem Podcast Halbe Katoffl.

Burak berichtet darin von seiner Jugend. Er beschreibt den Kontrast zwischen dem Stadtteil Duisburgs, in dem er aufwächst, und dem katholischen Privatgymnasium, an dem Lehrkräfte ihn als einzigen Kurden immer wieder aufgefordern, sich von Terrorakten durch Muslime zu distanzieren.

Die Erfahrungen einer weiteren Schülerin beschreibe ich in meinem Artikel zur Mehrsprachigkeit. Diese intelligente junge Frau musste immer wieder gegen Schubladen kämpfen, in die sie gesteckt werden sollte. „Es ist ja auch okay, wenn du später auf dem Bau arbeitest“ war eine dieser Zuschreibungen aus der Grundschulzeit.

Ohne Begründung bekam sie schlechte Noten in Deutsch und musste sich für das Abiturzeugnis eine Neubewertung ihrer mündlichen Mitarbeit erstreiten. Obwohl sie akzentfrei Deutsch und Englisch spricht und um eine Sprache mehrsprachiger ist als Mitschüler:innen.

An mancher Stelle haben auch Lehrkräfte selbst noch Lernbedarf.

Der Lehrkräftemangel

Es gab Gründe dafür, dass ich 2014 meinen Vertrag als Lehrerin kündigte. Und es lag nicht nur an der Streitlust meiner Schüler:innen oder dem fordernden Verhalten ihrer Eltern. Großenteils konnte ich mit dem Korsett der Vorgaben immer weniger leben. Denn gleichzeitig wurden wir bei der Umsetzung immer neuer Maßnahmen als Schule alleine gelassen (zum Beispiel bei der Umstellung zu Regionalschulen)

Der „Netzlehrer“ Bob Blume ist sehr aktiv dabei, die Öffentlichkeit über die dramatische Situation an deutschen Schulen zu informieren. Kürzlich teilte er diese Einschätzung:

„In Germany we don’t say „Investitionen in frühkindlicher Bildung zahlen sich später um ein Vielfaches aus, lasst uns Kitas und Grundschulen stärken“, we say „Die Schwarze Null muss stehen“ and I think that’s a Verrat an einer ganzen Generation!“

Netzlehrer Bob Blume

Ich kann ihm da nur zustimmen. Und dieser ständige Sparzwang auf der einen Seite, kombiniert mit immer neuen Aufträgen auf der anderen Seite, die aus den Ministerien herunter rieseln, sorgt für immer weniger Motivation, diesen eigentlich wunderbaren Beruf zu ergreifen.

Vor allem in den grundlegend wichtigen Kitas und Grundschulen ist die Bezahlung am geringsten und die Arbeitslast am höchsten. Immerhin werden inzwischen die Besoldungsgruppen zwischen verschiedenen Schultypen angeglichen.

Der Bildungsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen

Unser Gesellschaftssytem bietet nicht nur Lernerfahrungen in Kitas und Schulen für junge Menschen. Der ÖRR ist mit seinem Bildungsauftrag für alle Generationen da. Wenigstens ist das der Gedanke dahinter.

Ich selbst sehe nicht besonders häufig 3Sat. Trotzdem finde ich es bedenklich, dass hier ein Kultursender gestrichen werden soll. Die Ministerpräsidenten wollen das Rundfunkangebot „verschlanken“, auch aus Kostengründen. Auch hier zieht sich als roter Faden die Sparmaßnahme durch.

Der ÖRR ist allerdings nicht nur aus Geldgründen in Gefahr. Sollten sich neue politische Mehrheiten durchsetzen, ist es für einen neuen und entschlossenen Ministerpräsidenten möglich, den Rundfunkstaatsvertrag zu kündigen. Damit gäbe es in dem betroffenen Bundesland keine unabhängigen Fernseh- und Radiosender mehr.

Das mag unspektakulär klingen. Wenn allerdings demokratiefeindliche Parteien einen sogenannten „Grundfunk“ planen, habe ich wenig Hoffnung, dass dessen Inhalte das gesellschaftliche Miteinander fördern werden.

Fazit

Politische Gremien haben großen Einfluss auf Finanzierung und Gestaltung der Bildung. Dazu gehören Ministerpräsidentenkonferenz, Ministerien für Bildung, aber auch Schulämter. Die meisten Probleme sehe ich im Schulsystem an sich, in dem die Zukunft der jungen Generationen angelegt wird.

Aber auch die Wissensvermittlung und das allgemeine Ansehen von Bildung bei Erwachsenen sind verletzliche Bausteine unserer Demokratie.

Lernen ist politisch, weil die Politik über den Bildungserfolg deutlich mit entscheidet.

Die Politik hängt am Lernen

Wahlergebnisse

Auch wenn es keinen monokausalen Zusammenhang gibt: Mit steigendem Bildungsgrad sinkt der Prozentanteil der Stimmen für die AfD. Das macht Menschen ohne akademische Abschlüsse nicht zu undemokratischeren Menschen. Es ist eher so, dass ein geringerer Bildungsstand niedrigere Chancen auf dem Arbeitsmarkt bietet. Und damit tendenziell größere Ängste um die finanzielle Zukunft.

Wenn wir unserer Demokratie nicht weiter beim Zerbröseln zusehen wollen, ist eine solide Bildung und damit eine bessere Aussicht auf eine sichere Zukunft eine wichtige Stellschraube, wenn auch natürlich nicht die einzige.

Lernen aus der Geschichte

Nicht nur an Wahltagen wäre es wünschenswert, wenn wir aus der Geschichte nachhaltiger gelernt hätten. Speziell aus der deutschen Geschichte. Die Tendenz zur Ablehnung der Menschen, die irgendwie „fremd“ oder „anders“ scheinen, macht sich jeden Tag in unserer Mitte bemerkbar.

Es wird nicht nur schon wieder davon phantasiert, zugezogene Menschen zu deportieren. Auch die Existenz behinderter Menschen war nie diskriminierungsfrei. Und nun sind sie wieder Gewaltandrohungen mit Nazivokabular ausgesetzt. Der Lebenshilfe Mönchengladbach wurde eine Fensterscheibe eingeworfen. Am Stein war eine Botschaft angebracht: „Euthanasie ist die Lösung“

„Nie wieder!“ darf kein leerer Slogan sein. Wenn Lernen politisch ist, dann besonders in diesem Zusammenhang. Diese Lektion hätte sich so nachhaltig einprägen müssen, dass eine Wiederholung undenkbar wäre.

Krisenverhalten

Wir leben in einer Zeit der multiplen Krisen. Besonders im Zusammenhang mit dem Klima streut die Fossilindustrie gezielt Falschinformationen, um ihr Geschäftsmodell aufrecht zu erhalten. In einer Krise ist es allerdings besonders wichtig, rechtzeitig und mit effektiven Maßnahmen zu reagieren.

Unter dem Druck der sich teils gegenseitig verstärkenden Krisen und bei sinkendem Vertrauen in politische Entscheidungsträger:innen wirkt ein Mangel an solidem naturwissenschaftlichem Grundwissen fatal.

Wir sehen, wohin es uns als Gesellschaft bringt, wenn Menschen sich aus Verunsicherung den notwendigen Verhaltensänderungen verweigern. So blockieren wir uns unnötig gegenseitig und politische Entscheidungen und Maßnahmen stoßen auf teils massive Widerstände. Letztlich kann eine Krise dadurch unnötig in die Katastrophe kippen.

Verschwörungsmythen

Auch Verschwörungsmythen verhindern demokratische Weiterentwicklung. Und auch hier gilt: Es gibt keinen einfachen Kausalzusammenhang. Gleichzeitig glauben Menschen mit höherem Bildungsgrad tendenziell weniger oft an Verschwörungsgeschichten.

Leider sind Menschen, die fest in diese Geschichten verstrickt sind, nur noch schwer mit Fakten zu erreichen. Stattdessen ist es wichtig, dass wir alles tun, damit die Zahl der Verschwörungsgläubigen nicht weiter wächst. Dafür gibt es von verschiedenen Organisationen Ansätze für politische Bildung, zum Teil durch Apps und über soziale Medien.

Diese Maßnahmen bringen allerdings wenig, wenn das zum Lernen notwendige Vertrauen fehlt. Hier müssen Politiker:innen dafür sorgen, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung sicher genug fühlt, dass Falschbehauptungen weniger Chancen haben. Wenn in diesem Bereich wieder am falschen Ende gespart wird, machen es sich die politisch Verantwortlichen selbst unnötig schwer.

Geschlechtergerechtigkeit

Das Deutsche Bildungssystem ist im Vergleich gerechter als in vielen anderen Ländern. Hier wird Mädchen das Lernen nicht verboten. Und doch haben wir als Gesellschaft noch einige Lektionen vor uns.

Ein Beispiel für politische Konsequenzen sind die wirtschaftlichen Kosten von Gewalt gegen Frauen. Fachleute schätzen, dass durch Polizeieinsätze, Gerichtsverhandlungen, Krankmeldungen, Traumabehandlung von Kindern, vor allem aber nicht ausgeschöpftes weibliches Potential in der Arbeitswelt der deutschen Wirtschaft 20 Milliarden Euro entgehen. Ganz abgesehen von den psychischen Belastungen.

Diese Zahlen wurden 2017 veröffentlicht. Und bisher scheinen wir nicht in der Lage oder entschlossen zu sein, dieses Wissen aufzunehmen und umzusetzen.

Fazit

Lernen ist politisch, weil politische Entscheidungen von unserer Lernfähigkeit und Offenheit für neue Informationen und Fakten, sowie dem Wissensstand einer Gesellschaft abhängen.

Was können wir tun?

Am gesellschaftlichen Lernprozess sind mehrere Gruppen beteiligt. Damit Fakten und Informationen nachhaltig aufgenommen und solidarische konstruktive Werte und Verhaltensweisen vermittelt werden, braucht es einerseits Offenheit. Dafür sind Jugendliche in der Schule und Erwachsene im Alltag verantwortlich.

Außerdem brauchen wir eine vertrauensvolle Atmosphäre und Zuverlässigkeit. Dafür sind Lehrkräfte und Politikerinnen verantwortlich. Konkret fallen mir folgende Wunschlisten ein:

Politiker:innen

Wenn Lernen politisch ist, sind offensichtlich Menschen aus der Politik besonders für seinen Erfolg zuständig. Was können sie also tun?

  • weniger auf die nächsten Wahlergebnisse schauen
  • mehr in das Bildungssystem, vor allem in frühkindliche Förderung und Grundschulen investieren
  • mehr in Bildungsgerechtigkeit investieren
  • Lehrkräfte bei Inklusionsmaßnahmen besser ausbilden und unterstützen
  • Wissenschaftler:innen, die für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen demonstrieren, nicht mehr kriminalisieren
  • Vorbilder sein und Wissenschaft und Forschung ernst nehmen
  • den Rundfunkstaatsvertrag vor demokratiefeindlichen Angriffen besser schützen
  • den Bildungsflickenteppich zwischen den Ländern effektiver harmonisieren
  • ergebnisoffen von anderen Nationen lernen, die im internationalen Vergleich nachhaltiger lehren
  • alles unternehmen, was in ihrer Macht steht, um Vertrauen zurückzugewinnen

Lehrkräfte

Lehrkräfte sind aktuell schon sehr unter Druck. Was viele von ihnen aber schon tun und was uns allen hilft:

  • jeden Tag neu so gut wie möglich für Bildungsgerechtigkeit zu sorgen
  • die Diversität der Schüler:innen wertschätzen
  • Lernfreude und den Wert eines soliden Wissenschatzes vermitteln
  • immer wieder Werte vermitteln
  • sich vernetzen, zum Beispiel bei Teachers For Future
  • Lehrkräften wie Saskia Niechzial und Bob Blume folgen und sie dadurch unterstützen
  • mit sich selbst achtsam umgehen
  • eventuell selbst im eigenen Rahmen an die Öffentlichkeit gehen und für die Probleme im Lernalltag Aufmerksamkeit schaffen

Jugendliche

Jugendliche haben am wenigsten Einfluss auf das System. Und gleichzeitig haben auch sie Optionen:

  • sich nicht von anderen Menschen die Freude am Lernen als angeblich uncool ausreden lassen
  • sich gegenseitig im Lernen unterstützen

Erwachsene

Wir als Erwachsene sehen meistens scheinbar von außen zu. Dabei gibt es auch für uns eine reiche Liste an Einflussmöglichkeiten:

Ausblick

Die Lage ist ernst. Außerdem ist sie kompliziert, weil Bildung und Politik gegenseitig voneinander abhängen. Und gleichzeitig gibt es viele Hebel, mit denen unterschiedliche Menschen ihren Beitrag leisten können.

Lasst uns dabei alle unser Bestes geben, damit wir die Lektionen der Vergangenheit nicht wiederholen müssen, damit das Lernen wieder einen höheren Stellenwert bekommt und damit wir hoffentlich eine gerechtere Zukunft für alle möglich machen.


Was meinst du?

Wie stehst du zu der Aussage, dass Lernen politisch ist? Hat dieser Satz für dich überhaupt eine Bedeutung?

Und wie schätzt du für die Zukunft den Zusammenhang zwischen Lernen und dem politischen Miteinander ein? Fallen dir noch weitere Dinge ein, die die verschiedenen beteiligten Gruppen machen sollten?


  1. Quelle: 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks; Briedis et al. 2014: Berufswunsch Wissenschaft; Kooperationsprojekt Absolventenstudien 2016, 2014: Nationaler Bildungsbericht 2016; Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017; Statistisches Bundesamt (mehrere Jahre) ↩︎

Beitrag veröffentlicht am

in

,

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Dir hat dieser Beitrag gefallen? Hier findest du weitere aktuelle Artikel:

  • 12 von 12 im November 24
    Mein zweites 12 von 12. Der Herbst geht in die matschige Phase über und ich hake ein paar To-Want-Vorhaben ab.
  • Gendersprache? Meine Meinung dazu!
    Was denkst du über Gendersprache? In meinem abschließenden Blogpost zu dieser Frage erfährst du, wie ich wirklich dazu stehe und wie ich das begründe.
  • Warum Lernen politisch ist
    Lernen ist nicht nur Pflichtveranstaltung oder Hobby. Ich erkläre, warum Lernen politisch ist, heute mehr denn je.
Cookie Consent mit Real Cookie Banner