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Photo von einem großen Globus draußen auf einer Wiese. Im Hintergrund Bäume und Sträucher. Für ideales Internet

Mein ideales Internet

Ich bin keine Digital Native. Dass es in meiner Kindheit das heute selbstverständliche WWW noch nicht gab, bedeutet allerdings nicht, dass es mir nicht ans Herz gewachsen wäre. Im Gegenteil. Und ich habe eine klare Vorstellung davon, wie mein ideales Internet aussehen könnte.

Genau danach fragt Annette Schwindt in ihrer Blogparade #SoSollWeb. Weil ich so ein Blogparadenfan bin und weil mich das Thema sehr anspricht, reihe ich mich hiermit in die Liste an Teilnehmenden ein 🙂

Meine ersten Schritte im Internet

Die Geschichte des Internets reicht überraschend weit zurück. Die ursprüngliche Vision (im nichtmilitärischen Bereich) war pragmatisch und kooperativ:

„Wir wollen keine Könige, Präsidenten und Wahlen. Wir glauben an einen groben Konsens und an ablauffähigen Code.“

Credo der Internet Engineering Task Force

Meine erste E-Mailadresse bekam ich von der Universität Oldenburg. Das musste ich damals noch damit begründen und organisierte mir damit ein Diplomarbeitsprojekt an der University of Nottingham und im Anschluss eine Promotionsstelle am KCL.

Meine ersten Kontakte mit dem Netz waren also vernetzend, allerdings auch auf einen kleinen akademischen Personenkreis begrenzt. Mit dem schnellen Wachstum in den Neunzigern kam dann eine Menge eher private Unterhaltung dazu.

Ich habe mich in Foren in langen und fruchtlosen Debatten verzettelt, war Mitglied im Karl-Fritsch-Fanclub (Leider existiert seine Seite nur noch im Web-Archive.) und habe mir 2006 auf Twoday meinen ersten Blog eingerichtet.

Früher und Heute

Dezentralität

Ich erinnere mich an thematisch wild gemischte und vor allem dezentrale Diskussionsforen. Gästebücher waren eine Art überregionales Poesiealbum.

Heute ist es schwierig, sich den „großen“ Plattformen zu entziehen. Weil da gefühlt „alle sind“. Auch ich habe mich erst vor kurzem aus Meta zurück gezogen.

Benimmregeln

Der Begriff „Netiquette“ wirkt heutzutage seltsam altmodisch. Und gleichzeitig war es gar nicht so schwierig und hat in meiner Erinnerung meistens funktioniert.

Musk und Zuckerberg sind leider nicht bereit, wirksam zu moderieren. Und das hat eine Erosion in Gang gesetzt. Wer die Erfahrung gemacht hat, ohne Konsequenzen beleidigen und bedrohen zu können, eskaliert im Zweifelsfall immer weiter.

„Vergiss niemals, dass auf der anderen Seite ein Mensch sitzt!“

Erster Grundsatz der Usenet-Netiquette

Zugang

In den Neunzigern und Nullern waren sowohl die Hardware als auch der Zugang zum Internet teurer und großenteils nicht mobil.

Das Netz ist billiger, zugänglicher und mobiler geworden, mit immer neuen und immer stärker verzahnten Anwendungen entwickelt. Für diese neue Bequemlichkeit zahlen wir mit unseren Daten und unser Privatsphäre.

DSGVO

Meine ersten Blogs kamen noch ohne Datenschutzerklärung aus. Ich hatte auch gar kein Interesse daran, persönliche Informationen über Menschen zu erheben, die meine Texte lesen wollten.

Heute friemeln wir uns alle zwischen Abmahnanwälten und nur halbwegs passenden Vorlagen durch. Und ich schreibe hier immer noch, ohne mich für die Daten meiner Leser*innen zu interessieren.

Design

Die quietschbunten Wackelbildchen und das Geocities-Design waren schon speziell. Blogs auf Plattformen wie Twoday oder Blogspot waren einfacher gestrickt.

Wer eine eigene und attraktive Webseite haben wollte, musste sich ein bisschen in die Materie reinknien.

Moderne Baukästen machen es heute viel einfacher, eine beliebig komplexe Webseite nach eigenen Vorstellungen zu bauen. Zum Glück hat das Farbspektakel nachgelassen 😉

Aus meiner Sicht eine eher deprimierende Entwicklung sind die KI-Bilder. Mir sind unperfekte aber echte Bilder lieber als in Sekunden zusammen gepromptete Bilder, die auch noch am anderen Ende Werke von Künstler*innen durch den digitalen Wolf drehen.

Blogabsichten

Als ich mit dem Bloggen anfing, ging es zu einem Großteil um Privatvergnügen. Menschen wollten informieren, sich ausdrücken, ihre Werke teilen und sich mit anderen austauschen.

Heute drehen sich viele Blogs neben dem Informieren um Verkauf, Werbung und Optimierung. Auch mein Blog hängt an der Seite meines Nachhilfeunternehmens dran. Allerdings soll dieser Blog nichts verkaufen, sondern weiterhin Informationen vermitteln und meinen Standpunkt zur Welt mitteilen.

Trolle und Fake News

Früher war Trollen noch Handarbeit. Diejenigen, die es darauf anlegten, Diskurse zu sprengen, waren in meiner Erinnerung in der Minderheit und eher privat motiviert.

Bots machen es möglich: Autoritäre Regime können automatisiert in die Bewusstseinbildung reingrätschen und überwältigende Mengen an Desinformation über der Menschheit ausschütten.

Unser digitales Morgen

Was wünsche ich mir für mein ideales Internet? Hauptsächlich, dass wir gemeinsam wieder einen Gang runter schalten. Das gilt für das allgemeine Tempo genau wie für die Stimmung.

Positives

Der Seele tut es gut, sich aktiv positive Momente zu schaffen. Gerade wenn Onlinemedien für Klickzahlen mit Ragebait an unsere Emotionen appellieren.

Mir helfen Hashtags wie #Bloomscrolling und #Meermittwoch. Aber auch nette Menschen, die Erfreuliches mit dem Kommentar „Dein Timeline-Cleanser“ posten. Und dann natürlich die verschiedenen „Good News“-Angebote.

Ich bin tendenziell eher Pessimistin und überhaupt keine Freundin von übertrieben guter Laune. Und gerade deswegen folge ich mehreren positiven Hashtags.

Authentizität

Statt möglichst häufig zu bloggen, bevorzuge ich echt selbst geschriebene Texte. Ich möchte Menschen mit Charakter kennen lernen, die mich im Idealfall berühren und zum Nachdenken anregen. Im Gegenzug sprechen auch meine Texte hier die Sprache, die ich auch im realen Leben verwende. Das bin ich, das sind meine Gedanken und Grundsätze. Und ich freue mich über jede Person, die mit dem gleichen Ansatz im Netz schreibt.

Inklusion und Diversität

Ich habe in den Neunzigern oder Nullern nicht viel über Barrierefreiheit gehört. Dass das Thema inzwischen bei vielen Menschen fast normal geworden ist, freut mich. Plattformen wie Mastodon und WordPress machen es mir technisch leicht, Bildbeschreibungen anzufügen. Und sie erinnern mich auch zuverlässig daran, wenn ich es vergesse 😉

Weibliche Perspektiven gehören ganz deutlich zu diesem Themenbereich dazu. Eins meiner Vorbilder ist Judith Peters, sie bloggt schon lange auch darüber, dass wir noch mehr Frauenstimmen in der Blogosphäre brauchen.

Ich wünsche mir mehr selbstverständliche, beiläufige Diversität und weniger Streit um eigentlich weniger entscheidende Details wie Sternchen und Unterstriche.

Außerdem kann das Netz unter anderem Generationen miteinander verbinden. Portale wie Blogs50Plus ermutigen Menschen meiner Altersklasse, sich in die virtuelle Debatte einzubringen.

Kritisches Denken

Die Welle an Misinformation und Desinformation werden wir nicht aufhalten. Stattdessen müssen wir uns immer wieder vor Augen halten, wie sehr menschliches Verhalten und Denken auf Irrationalität und Emotionen basiert. Auch unser eigenes Denken.

Aus meiner Sicht hilft es, lebenslang für Bildung und neue Informationen kritisch offen zu bleiben. Um sinnvollen Skeptizismus zu lernen, gibt es unterhaltsame Kanäle wie den von Rebecca Watson.

Im Zweifel beziehe ich mich gerne auf Faktenchecks von Mimikama, Correktiv oder Snopes. Und zwar nicht naiv alles glaubend, sondern kritisch auf Plausibilität abklopfend.

Gegenseitige Nachsicht

Gegenseitiges Wohlwollen würde vieles erleichtern. Ich wünsche mir, dass wir uns noch öfter bewusst machen, dass am anderen Ende der Leitung ein Mensch sitzt, tief durchatmen und über manchen Reflex noch ein Weilchen nachdenken, statt gleich zu reagieren.

Die andere Person hat auch Alltag und ein Päckchen zu tragen. Die anspruchsvolle Aufgabe ist es, dass wir uns gleichzeitig bemühen, uns entgegen zu kommen, andererseits aber im Hinterkopf behalten, dass wir alle nur Menschen sind, die immer wieder am Ideal scheitern werden.

Unterstützung aus der Politik

Mehr rechtliche Sicherheit wäre erfreulich. Besonders auf Meta oder X.werden Grenzen übertreten und Betreiber wie Musk greifen nachhaltig in unsere demokratischen Abläufe ein. Da wünsche ich mir deutlich effektivere Durchsetzung von Gesetzen.

Im Datenschutz sehe ich einen großen Unterschied zwischen Social-Media-Plattformen und relativ kleinen Webseiten. Während wir Meta und Co. kaum etwas entgegensetzen, fühle ich mich mit meiner Datenschutzerklärung unter Generalverdacht gestellt.

Es hätte viel einfacher laufen können. Ich ärgere mich jedenfalls heute noch darüber, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der Datenschutz-Grundverordnung nicht wenigstens kostenlose und rechtssichere Textbausteine zur Verfügung gestellt hat. Mal sehen, was sich da noch tut.

Aufmerksamkeitsökonomie

Seit den Anfängen des Internets hat sich eins nicht geändert: Wir alle haben nur begrenzte Zeit und begrenzte Aufnahmekapazität. Und obwohl sich das Publikum drastisch vergrößert hat, ist zeitgleich die Zahl derjenigen, die etwas mitzuteilen haben, genauso gewachsen.

Ich merke es an mir selbst. Ich lese in einer gegebenen Zeit nur wenige Blogartikel wirklich aufmerksam. Geschweige denn, dass ich es schaffe, sie tiefgründig zu kommentieren. Wie könnte eine Onlinegemeinschaft aussehen, in der nicht diejenigen die Aufmerksamkeit bekommen, die am lautesten sind? Eine Gemeinschaft, in der wir wieder wegkommen vom Clickbait und vom Ragebait?

Judith Peters drückt es so aus: „Blog like nobody’s reading“. Nach diesem Grundsatz schreibe ich hier. Wenn ich Rückmeldungen bekomme, freut mich das sehr. Aber irgendwelche speziellen Zugriffszahlen sind nicht mein Anspruch. Ich bin sicher, wenn wir weniger auf Reichweite und mehr auf Tiefe abzielen, kann das Internet dadurch nur gewinnen.

Mein Beitrag zum idealen Internet

Ich scheitere immer wieder an meinen eigenen Vorstellungen. Es passiert immer noch, dass ich mich über einen Kommentar eines anderen Menschen aufrege und mich in Debatten verstricke. Ich kommentiere lange nicht so oft auf anderen Blogs wie eigentlich geplant.

Was ich bewusst beitrage: Blogartikel über genau das, was das Miteinander konstruktiver, solidarischer und letztlich erfreulicher machen könnte. Zu finden in der Kategorie „Gesellschaft“.

Am Ende ist das Internet das, was wir daraus machen. Das ist sowohl die schlechte als auch die gute Nachricht. Ich mache mir mit dieser Blogparade und meinem Beitrag dazu wieder bewusster, was ich dafür tun kann, dass mein ideales Internet ein bisschen mehr Wirklichkeit wird.

Wie sieht dein ideales Internet aus?

Diese Blogparade geht noch bis zum 31.3.25. Aber auch danach interessiert mich noch, was du dir für die Kommunikation online wünschst, welche Technik dir eine angenehme Kommunikation erleichtert und wie du zu einem runden Interneterlebnis beiträgst.


Dieser Blogartikel hat dir gefallen? Hier findest du mehr zum Thema Blogparaden:


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Kommentare

3 Antworten zu „Mein ideales Internet“

  1. „Blog like nobody’s reading“ ist auch meine Maxime. Vielen lieben Dank für Deinen ausführlichen Beitrag und das Weitersagen! Ich hoffe, es werden sich viele Deine Ratschläge zu Herzen nehmen, mal runterzuschalten und nicht zu vergessen, dass am anderen Ende auch ein Mensch sitzt.

    1. Danke! Ich fand den Aufhänger, was wir vor allem selbst tun können, sehr inspirierend 🙂

  2. Liebe Angela,

    Wie oft sehen wir da vieles ähnlich! Ja, die Zeit um 2000 – gefühlt hatte jeder eine eigene Homepage (Bilder nicht mehr als 15 kb, sonst lädt es zu lange!!!), ich damals auch. Ich weiß nicht mehr, wo – gab es Metropolis? Oder so ähnlich?

    Und die ForumRomanum-Foren…

    Ich habe in den letzten Monaten und Jahren gemerkt, dass mir dieses schnell-hektische, oberflächliche Geschrei im Netz auch nicht mehr zusagt. Bin daher auch aus META raus (wobei ich mich noch richtig abmelden muss, zurzeit bin ich nur deaktiviert auf FB) und bereue es kein Stück. Interessant finde ich, dass Leute, wenn ich es erwähne, zwar sagen: „Ach, wie schade, du hast immer so schöne Bilder gepostet“ – aber dass ich seit einem Monat weg bin, haben die meisten nicht mal bemerkt.

    Ich blogge ja auch wieder, wie du weißt – so völlig aus dem Bauch heraus und ohne mir viele Gedanken darüber zu machen, ob es jemanden interessiert. 😄

    LG
    Katja

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