Die Figur im Beitragsbild ist mehr als zehn Jahre alt. Ich häkele gerne Figuren, die für Anteile meiner Persönlichkeit stehen. Diese hier ist sehr oft sehr wütend. Wie passend, dass Frances Dahlenburg eine Blogparade unter dem Titel „Wut ist meine Superkraft“ gestartet hat!
Frühes Training im Wütendsein
Mein Vater ist Psychologe. Schon als meine Geschwister und ich klein waren, haben wir gelernt, Gefühle zu benennen. Und in meiner Erinnerung wurde nicht von mir erwartet, dass ich sie unterdrückte. Meistens war ich traurig und habe das der Welt mitgeteilt, als ich das Wort noch nicht einmal richtig aussprechen konnte.
Als Kind und Jugendliche hatte ich oft Weltschmerz. Mich haben aber auch Ungerechtigkeiten schon damals sehr wütend gemacht. Das ist ein Punkt in meiner Erziehung, für den ich meinen Eltern dankbar bin: Es hieß bei ihnen nie, dass Wut nicht zu einem Mädchen passt.
Auch heute noch werde ich relativ leicht wütend. Wenn Technik mich frustriert oder wenn es gesellschaftlich nicht läuft, wie ich das logisch und sinnvoll fände 😉 Und wenn ich in Gesellschaft von Menschen bin, bei denen ich davon ausgehe, dass sie damit leben können, lasse ich auch gerne laut verbal Dampf ab.
Danke, Ang Lee!
Ich habe schon in den 80ern gerne den „unglaublichen Hulk“ im Fernsehen gesehen. Von der Aufmachung und den Effekten her war die Serie aber eher amüsant, vor allem die grüne Perücke, und ungefähr so tiefgründig wie „Ein Colt für alle Fälle“. Die Comics habe ich tatsächlich nie gelesen.
Als 2003 der Film „Hulk“ ins Kino kam, hatte ich keine hohen Erwartungen. Doch ich habe mich sehr in der sehr poetischen, sehr kunstvollen und sehr kraftvollen Darstellung wiedergefunden. Wenn Hulk auf der Leinwand Dinge zertrümmerte, fühlte ich ganz tief innen eine Resonanz auf einem sehr archaischen Level. Einen ähnlichen Effekt merke ich nur bei Metal-Konzerten und auch da nur bei ausgewählten Bands 😉
Natürlich laufe ich nicht grün an, wenn ich wütend werde. Mir wachsen auch keine Muskeln und ich kann leider nicht Hunderte Meter hoch springen. Aber die Transformation und wie Bruce Banner von seiner Wut zunächst überwältigt wird, hat einen Teil in mir direkt angesprochen.
Bei anderen Fans kam diese Verfilmung nicht besonders gut an. Sie fanden den Film zum Teil langweilig, zum Teil zu ernsthaft oder zu gekünstelt. Aber für mich ist Eric Bana immer noch der beste Hulk-Darsteller und Ang Lee hat alle Knöpfe in meinem Wutzentrum gedrückt.
Später haben wir die meisten Marvel Filme im Kino gesehen und vor einer Weile noch einmal auf Disney+ vom Sofa aus. Der Handlungsfaden des Hulk macht nur einen kleinen Teil aus, und gleichzeitig habe ich ihn besonders interessiert verfolgt.
In der Serie wiederholt Dr. Banner immer wieder dieses Zitat:
„Don’t make me angry. You wouldn’t like me when I’m angry!“
Dr. Banner
Das ist nicht meine größte persönliche Sorge. Ich denke nicht darüber nach, ob mich jemand nicht mehr mag, wenn ich wütend werde. Auf jeden Fall mag ich mich selbst auch wütend gerne. Gleichzeitig lasse ich meine Wut eher im Kreis von Menschen ungefiltert heraus, denen ich vertraue.
Bruce Banners Geheimnis
Bruce Banner braucht lange, um mit dem Hulk Frieden zu schließen. Manchmal schafft er es monatelang nicht, wieder menschlich zu werden. Und als Hulk ist er nicht nur wütend, sondern kann auch sehr viel weniger rational entscheiden. Er macht sehr unsortiert kaputt, was ihn nervt und im Weg steht. Seine Gedankengänge sind sehr schlicht und kurz.
Dem höflichen Wissenschaftler Dr. Banner macht das natürlich Sorgen. Er möchte sich nicht in diesem Wutmonster verlieren. Gleichzeitig braucht das Team der Avengers immer wieder den starken Hulk im Kampf gegen diverse Bösewichte.
Und dann kommt eine meiner Lieblingsszenen. In einer weiteren Schlacht sagt Captain America, jetzt sei eine gute Gelegenheit, wütend zu werden. Banner stapft los, lächelt noch einmal zurück über seine Schulter und sagt:
„That’s my secret, Captain. I’m always angry.“
Bruce Banner / Hulk
Er lehnt den Hulk in sich nicht mehr als Monster ab. Stattdessen erkennt er ihn als ständigen Teil seiner Persönlichkeit an. Genauso gibt es ein Mitglied meines inneren Teams, das so gut wie immer wütend ist.
Irgendeinen Anlass gibt es immer. Und statt mir das selbst vorzuwerfen, nehme ich das genauso zur Kenntnis wie den traurigen Anteil oder die anderen Persönlichkeiten, die alle ihre individuellen Marotten haben.
Immer wütend
Was ist also der Trick? Es hilft sehr, diese grüne Person als berechtigte Reaktion auf die Welt an die Hand zu nehmen. Manchmal steigt sie in mir auf, wie eine grüne Welle. Manchmal bringt sie mich dazu, Politikern Brief zu schreiben oder auf Demos zu gehen.
Kaum jemand wird sich den Zustand des Planeten und der Menschheit entspannt und zufrieden ansehen. Dabei wütend zu werden, ist für mich ein Zeichen davon, dass wir lebendig sind und uns nicht unsere emotionalen Reaktionen verkneifen. Und genauso, wie die ständigen Krisen nicht nachlassen, hat mein innerer Hulk aktuell keinen Grund, sich zu beruhigen.
Zwei Alternativen wären Verdrängen oder Traurigkeit. Und beide führen bei mir zur Selbstblockade. Dabei ist es sowohl für die Welt als auch für mich auf Dauer besser, wenn ich mich nicht zurückziehe.
Vielleicht hast du in meinem Blog schon von meinem Pulli gelesen. Der ist ein Bild dafür, wie wir in der Welt leben und uns auf einem für uns angemessenen Niveau öffnen können. Kurz gesagt: Mit einer emotionalen Ritterrüstung schirme ich mich zu sehr von meiner Umgebung ab, mit einem dünnen T-Shirt bin ich oft zu sehr dem vollen Ausmaß der Misere da draußen ausgesetzt.
Empathie macht diesen Pulli weich. Meine Wut gibt ihm Form und Stabilität. Und dafür bin ich ihr dankbar.
Wie geht es dir mit dem Thema Wut?
Hast du ein Bild für deine Wut? Wie findest du eine gute Balance, wenn du wütend wirst?
Was ist deine Geschichte, wie du auf Frust und Ungerechtigkeiten reagierst oder als Kind reagiert hast?
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