Streit um Sprache habe ich öfter als gut für mich wäre: Besonders in den sogenannten sozialen Medien gerate ich immer wieder mit jemandem aneinander, um hinterher festzustellen, dass wir aneinander vorbeigeredet oder jedenfalls nicht die gleiche Sprache gesprochen haben.
Sprache und die Mechanismen hinter Kommunikation haben mich schon immer fasziniert. An einer früheren Blogparade von Nicole Isermann zum Thema „Sprachverhunzung“ habe ich entsprechend begeistert teilgenommen.
Jetzt kommt mir ihr neuer Aufruf wieder sehr gelegen. Unter #BlogparadeStreitfallSprache ruft sie dazu auf, sich Gedanken darüber zu machen, wie wir mit gesellschaftlichen und sprachlichen Entwicklungen umgehen, besonders auch in Kunst und Kultur.
Disclaimer: Nach diesem Beitrag wurde mir klar, dass die Frage nach meinem Standpunkt zum Gendern von den eigentlich existenziellen Fragen ablenkt. Dass diese Debatte unnötig Zeit und Energie verschwendet. Mehr liest du dazu in meinem abschließenden Beitrag zum Gendern.
Ich lasse diesen Post trotzdem stehen, weil ich immer noch zu den Aussagen darin stehe. Vor allem dazu, dass ich mir für uns mehr Nachsicht, Solidarität und Gelassenheit miteinander wünsche.
Warum gibt es Streit um Sprache?
Unsere Gesellschaft wandelt sich ständig. Einiges von dem, was früher als selbstverständlich galt, wird heutzutage in Frage gestellt. Oft geht es dabei um Hierarchieverhältnisse zwischen verschiedenen Menschengruppen.
Und weil es um Menschen geht, ist das Thema komplex und vielschichtig. Es geht vordergründig um scheinbar rationale Argumente, im Grunde aber um grundlegende Emotionen. Eine zuverlässige Kombination für hitzige Debatten also.
Wir sehen meist nur einen eher kleinen Ausschnitt einer Thematik und wundern uns über Reaktionen anderer. Es ist ein bisschen wie mit der Laktoseintoleranz und der Linkshändigkeit. Beide sind alles andere als moderne Marotten. Die Betroffenen haben nur lange nicht darüber geredet, wie es ihnen nach milchlastigen Mahlzeiten ging oder wie schräg es für sie ist, auf rechts trainiert worden zu sein.
Dass es heute sowohl linkshändige als auch laktosefreie Produkte gibt, wird von der Mehrheit als selbstverständlich anerkannt. Das war allerdings auch nicht immer so. Einige unter uns denken sich immer noch:
„Früher gab es das doch nicht. Da haben alle alles gegessen / alle Kinder mit der gleichen Schere geschnitten und es war kein Problem.“
„Früher“ ist hier ein zentraler Begriff. Diejenigen, die selbst nicht betroffen sind, erinnern sich an eine unkomplizierte Vergangenheit. Während die Betroffenen froh sind, dass sich endlich Dinge geändert haben.
Ähnlich ist es mit Menschengruppen, die von der Norm abweichen. Historisch gesehen richtete sich das Menschenbild lange an einem kleinen Kreis aus: Männlich, erwachsen, weiß, gesund. Lange auch laktosetolerant und rechtshändig. Dabei geht es mir ausdrücklich nicht um Schuldzuweisung, nur um eine Zustandsbeschreibung.
Dieses Bild vom Normmenschen ändert sich immer mehr. Je mehr es aufweicht, umso mehr fällt auf, wie sehr unsere Sprache noch in manchen Punkten hinterher hängt. Einige von uns wünschen sich aus verschiedenen Gründen, dass unsere Kommunikation möglichst schnell Gleichberechtigung widerspiegelt. Andere empfinden diese Veränderungen als unangenehm, auch aus verschiedenen Gründen.
Der Konflikt und damit der Streit um Sprache ist entsprechend vorprogrammiert, weil wir als Gesellschaft irgendwie miteinander auskommen müssen und eine Rückentwicklung nicht realistisch ist.
Wo findet Streit um Sprache aktuell statt?
Wie schon erwähnt, hängt vieles am „Früher“, besonders unsere Emotionen. Kinderbücher, Kinderlieder, traditionelle Gerichte und seit Jahrzehnten geliebte Filme sind nostalgisch aufgeladen. Wir verbinden Begriffe und Konzepte mit unseren Eltern und Großeltern, die für uns oft Vorbilder waren.
Jetzt stellt In einigen Fällen einfach ein Verlag eine Serie ein, oder ein Sender verlängert die Lizenz für Filme nicht. Das an sich ist genauso wenig Zensur wie die Entscheidung einer Bäckerei, eine Sorte Brötchen aus dem Programm zu nehmen. Und trotzdem entspinnt sich an solchen Gelegenheiten oft online eine viral geführte, hitzige Debatte.
Zum Beispiel gab es 2011 eine Diskussion über „Pippi im Taka-Tuka-Land“. Dieses Buch habe ich als Kind selbst oft gelesen und heiß geliebt. Schon die Idee, Pippis Vater in einer Neuauflage als „Südseekönig“ zu übersetzen, sorgte für Unzufriedenheit.
Der Ravensburger Verlag zog 2022 zwei Kinderbücher über den „jungen Häuptling Winnetou“ wieder zurück, die Karl May nicht einmal selbst geschrieben hatte. Und trotzdem waren viele Winnetou-Fans spontan verärgert und schimpften über eine vermutete „Cancel Culture“.
Außerdem gibt es noch die bekannten Schnitzel mit Paprikasauce und den Snack aus Zuckerschaum mit Schokoladenüberzug. Die jeweilige Namensänderung ging auch nicht bei allen Beteiligten geräuschlos über die Bühne und einige halten heute noch an den alten Bezeichnungen fest.
Was ist die tiefere Ebene hinter dem Streit um Sprache?
Wenn ein Teil der Gesellschaft Bezeichnungen ändert, wirkt das auf andere Personen wie grundsätzliche Kritik. Auch wenn gar nicht explizit von der Allgemeinheit verlangt wird, die alten Begriffe nicht mehr zu verwendet. Alleine, dass jemand etwas anders macht, kann schon negative Gefühle auslösen.
Zwei mögliche wahrgenommene Botschaften sind „Du bist nicht in Ordnung“ und „Deine Eltern sind/waren nicht in Ordnung“. Wenn sich jemand sich als Person so in Frage gestellt sieht, reagiert er oder sie oft mit Reaktanz, auf jeden Fall gekränkt.
Es ist nicht angenehm, sich dieser Frage zu stellen, ob alles, was wir in der Vergangenheit gemacht haben, gut und richtig war. Oder ob es sinnvoll ist, die Dinge so zu lassen wie sie sind. Veränderung macht so oder so oft Angst.
Auf der anderen Seite wirkt das Festhalten an alten Begriffen wie ein Beharren auf dem alten Hierarchiesystem. Wer früher die Deutungsmacht hatte, soll sie anscheinend auch weiterhin behalten. Das ist bei einem sich langsam über mehrere Generationen hinziehenden Prozess, der Gerechtigkeit anstrebt, sehr frustrierend.
Es geht letztlich um die Frage, ob und wie meine Mitmenschen mich sehen. Und wie ich mich selbst sehe.
Gefühle oder Macht?
Oft lese ich die Formulierung, dass „durch die Wortwahl Gefühle verletzt“ würden. Das klingt, als ginge es nur um Befindlichkeiten. Wie bei Laktoseintoleranz und Linkshändigkeit sind die Konsequenzen allerdings schwerwiegender.
In Deutschland haben Menschen noch immer sehr unterschiedliche Teilhabe an Zukunftschancen, politischer Macht, Bildung, Wohnraum und Wohlstand. Es geht um ganz handfeste Lebensqualität, die durch zufällig verteilte und angeborene Merkmale beeinflusst wird.
Und manchmal geht es schlicht um Rassismus, Klassismus und Ableismus, unter anderen Ismen. Das sagt nicht, dass wir früher schlechte Menschen waren. Es sagt auch nicht, dass diejenigen, die heute noch alte Begriffe verwenden, Rassisten sind.
Die wenigsten unter uns benutzen rassistische Begriffe und andere Verhaltensweisen, um absichtlich andere Menschen zu verletzen. Und gleichzeitig haben wir alle Rassismus internalisiert. Einfach, indem wir in diesem unperfekten Gesellschaftssystem leben. Und auch durch Bücher und Lieder, die wir in unserer Kindheit erlebt haben.
Das ist weder gut noch schlecht, das ist einfach, wie es ist. Es erleichtert einen konstruktiven Umgang mit unserer Gegenwart und Zukunft, wenn wir offen und ehrlich auf diese Automatismen in unseren Gehirnen schauen.
Es geht nicht um (übertriebene) Empfindlichkeiten, sondern um die systematische Ungleichverteilung von Macht, die in der Geschichte zu viel Leid geführt hat und die auch heute noch in vielen Fällen Gefahr für Leib und Leben bedeutet.
Was dürfen wir noch?
Natürlich gefährdet ein Mensch, der auf der Originalversion von Pippi im Taka-Tuka-Land besteht, damit noch lange nicht Mitmenschen. Was dieser Mensch allerdings, wenn auch nicht bewusst und absichtlich, signalisiert ist:
„Meine Nostalgie ist wichtiger als deine Zugehörigkeit.“
Oft fragen Menschen, was wir überhaupt noch dürfen. Die gute Nachricht ist, dass wir in einem freien Land wie Deutschland sehr viel dürfen. Es ist nicht gesetzlich verboten, weiterhin Schaumküsse mit dem alten Begriff zu bezeichnen. Es ist nur gleichzeitig nicht verboten, diesen Begriff als rassistisch einzuordnen und das offen zu sagen.
Ich drehe die Frage nach dem Dürfen um und frage: Wer ist „wir“? Auf welchem Level an Privilegien habe ich die Option, diese Frage zu stellen? Wie wenig muss ich von den Problemen anderer in meinem Alltag mitbekommen, um mein Dürfen im Vordergrund zu sehen?
Warum sollten wir überhaupt müssen? Aus welchem Grund ist es so wichtig, dass Kinder heutzutage die gleichen Bücher lesen wie ich damals? Warum geben wir nicht neuen Autor:innen die Gelegenheit, ihre Sicht auf die Welt zu präsentieren und Kindergehirne zum Nachdenken anzuregen?
Was ist haben wir davon, Begriffe zu verwenden, von denen wir wissen, dass sie andere Menschen kränken oder zu Recht überkommene Machtverhältnisse zementieren?
Warum genau sind für uns manche Künstler:innen über alles erhaben?
Folgende Fragen auf der Meta-Ebene halte ich für konstruktiver als die nach dem Dürfen:
Wie wollen wir möglichst respektvoll und auf Augenhöhe gemeinsam leben?
und
Welche gemeinsamen Bedürfnisse verbinden uns eigentlich?
Betroffene zu Wort kommen lassen
Um dem einen Schritt näher zu kommen, ist es wichtig, nicht über von zum Beispiel Rassismus oder Ableismus betroffene Menschen zu sprechen, sondern ihnen zuzuhören.
Gina Hitsch bietet als großzügigen Service in unterhaltsamen Videos einen Einblick, wie es ist, als von Rassismus betroffene Frau in Deutschland zu leben.
Raul Krauthausen ist eine starke Stimme für echte Inklusion. Sinnvoll gemacht, ist diese keine Belastung der nicht-behinderten Menschen, sondern eine Möglichkeit, zu lernen und unser Miteinander neu zu gestalten. Davon werden wir alle profitieren.
Und was ist jetzt mit den Kinderbüchern?
Ich selbst habe keine Kinder. Allerdings bin ich immer noch großer Kinderbuchfan und verfalle selbst gerne und völlig ohne schlechtes Gewissen in Nostalgie. Andererseits weiß und sehe ich, wie leicht sich Kinderhirne prägen lassen. Daher mache ich einen Unterschied zwischen der Wirkung auf Erwachsene und auf Kinder.
Es ist eine Illusion zu glauben, das grundlegende Problem an der Figur Efraim Langstrumpf sei seine „Berufsbezeichnung“. Ob nun Südseekönig oder nicht: Dass die Ureinwohner diesen fremden Piraten, kaum an ihrer Insel angespült, direkt zum König krönen, ändert sich durch eine kleine Übersetzungsänderung ja nicht. Das ist nur Kosmetik und keine wirkliche Beschäftigung mit dem eigentlichen Thema.
Hätte ich Kinder, würde ich ihnen bei aller Liebe zu Astrid Lindgren diese Bücher nicht einfach so in die Hand drücken, wie es bei mir als Kind lief. Ich würde sie, wenn überhaupt, mit ihnen gemeinsam lesen und über den Kontext sprechen.
Darüber hinaus würde ich anderen Autor:innen eine Chance geben, meinen Kindern Geschichten zu erzählen, die ein anderes Menschenbild transportieren und trotzdem genauso liebenswert und anarchisch sind. Eine glückliche Kindheit steht und fällt nicht mit Pippi Langstrumpf.
Den Erwachsenen von heute, die sich wie auch ich mit leuchtenden Augen an Pippi erinnern, nimmt es auch nichts weg. Dass es damals fesselnde Geschichten waren und diese Bücher aus heutiger Sicht ein paar unrunde Punkte haben, kann aus meiner Sicht nebeneinander stehen. Genauso wie die Tatsachen, dass Astrid Lindgren und Karl May liebenswerte Menschen waren und wunderbare Geschichten geschrieben haben, dass diese Geschichten allerdings ein problematisches Menschenbild reproduzieren.
Wenn ich jegliche Kritik und Veränderung kategorisch ablehne, nehme ich mir selbst die Gelegenheit zu lernen und ein differenziertes, erwachsenes Verhältnis zu Lindgren und May zu haben. Oder zum Schnitzel.
Meine Hoffnung für die Zukunft
Auch wenn heute noch die Positionen unverrückbar und unvereinbar scheinen, und auch wenn jede historische Gerechtigkeitsbewegung entgegengesetzte Reaktionen hervorgerufen hat: Ich gehe davon aus, dass sich das Rad vom Paprikaschnitzel und vom Südseekönig aus nicht zurückdrehen wird.
Schon alleine dadurch, dass neue Generationen von Kindern mit anderen Geschichten und Kostümideen aufwachsen, sowie mit einer anderen Art zu sprechen. Für jüngere Menschen sind die Veränderungen oft überhaupt kein Problem.
Meine Hoffnung ist es, dass wir irgendwann den Ausdruck „Political Correctness“ durch Menschenwürde ersetzen. Dass sich dadurch irgendwann die Frage nach dem Dürfen von selbst erledigt und damit der Streit um Sprache.
Ich hoffe, dass in absehbarer Zeit nicht mehr die Einen glauben, die Anderen wollten ihnen grundlos etwas wegnehmen. Und dass die Anderen nicht annehmen, die Einen wollten sie bewusst in ihrer Würde verletzen. Dass nicht mehr die Einen reflexhaft alle Kindheitserinnerungen auf ein Podest heben. Und die Anderen keine Perfektion erwarten. Sondern dass alle sich in ihrem Rahmen bemühen, auf Augenhöhe auf ihre Mitmenschen zuzugehen.
Ich könnte mir eine schlimmere Zukunft vorstellen. Und wenn wir das schaffen, wenn wir weniger auf das Dürfen schauen und mehr auf unsere Haltung, dann hat sich der Streit um Sprache am Ende gelohnt.
Was meinst du?
Wie stehst du zu sprachlicher und inhaltlicher Kritik an historischen Filmen und Kinderbüchern? Wie leicht fällt es dir, eine differenzierte Haltung zum Thema einzunehmen und den Streit um Sprache aus der Meta-Ebene zu sehen?
Wenn du noch weitere Persönlichkeiten kennst, die als Betroffene von Diskriminierung berichten, freue ich mich über Empfehlungen 😀
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