Stellung beziehen für Mitmenschlichkeit – wichtig hier und heute

Ein Straßenschildpfahl aus der Nähe photographiert, darauf eine aufkleber mit diesem Text: Die Idee, dass mache Leben weniger wert sind, ist die Wurzel allen Übels auf dieser Welt

Manchmal lese und höre ich tagelang bewusst keine Nachrichten. Die politische Entwicklung in vielen Ländern, einschließlich meinem eigenen, macht mir Sorgen. Aber so sehr ich mich auch oft ganz zurück ziehen möchte, ist es gleichzeitig wichtig, dass wir Stellung beziehen für Mitmenschlichkeit.

Gerade dann, wenn Menschen kurz vor einer Entscheidung über ihren Asylstatus abgeschoben werden. Oder wenn Menschen auf der Heimfahrt nach einer CSD-Parade rechte Gewalt erleben und die Polizei nur halbherzig hilft. Wenn Menschen in Bürgergeld und Geringverdienende ohne Not gegeneinander ausgespielt werden. Wenn in Deutschland fast jeden Tag ein Femizid stattfindet, über den die Medien als „Familiendrama“ berichten.

Dann ist es an Menschen wie mir, die von den meisten Arten der Diskriminierung nicht betroffen sind, etwas zu sagen, statt schweigend abzuwarten, ob das alles irgendwie von alleine besser wird.

Denn sich rauszuhalten und irgendwie alle „Meinungen“ für hinnehmbar zu halten, ist eine sehr bequeme Haltung. Diese können sich nur die leisten, die nicht existentiell in Frage gestellt werden. Das hört sich dann schön entspannt und tolerant an, wird sich aber auf lange Sicht rächen.

Was meine ich mit Stellung beziehen?

Stellung beziehen für Mitmenschlichkeit kann ich nur, wenn ich meinen Standpunkt kenne. Wenn ich einen einigermaßen guten Überblick über meine persönlichen Werte habe. Und wenn ich ausreichend informiert bin darüber, was mit vielen meiner Mitmenschen geschieht. Ich muss für mich definiert haben, was Mitmenschlichkeit bedeutet.

Es geht darum, nicht abzuwarten, bis sich jemand anderes meldet, sondern klar zu formulieren, wo für mich die Grenzen sind. Unter anderem, damit auch die betroffenen Menschen mitbekommen, dass ich sie wahrnehme. Und dass es Teile der Bevölkerung gibt, die Diskriminierung nicht ignorierenswürdig finden oder sich noch in identitätspolitische Spiele hinein ziehen lassen.

Kurz gesagt: Immer öfter werde ich klar und konkret etwas sagen.

Was meine ich nicht?

Stellung beziehen heißt nicht, dass ich mich in Gefahr begebe. Auch nicht, dass ich wieder so viele Nachrichten konsumieren werde, dass es mir auf die Seele schlägt. Nur Menschen, die auf sich selbst und ihre psychische Gesundheit achten, können andere Menschen unterstützen.

Es heißt auch nicht, dass ich weiter polarisieren will. Im Gegenteil, jedenfalls was Menschen angeht, die großenteils ähnliche Werte und Ziele für unsere Gesellschaft haben. Die meisten von uns wollen in Frieden leben und dass es dem Rest der Bevölkerung auch gut geht, behaupte ich. Und darum geht es mir. Um Solidarität und Miteinander.

Warum ist Stellung beziehen heute so besonders wichtig?

Ich beobachte bei mir selbst, wie es mir manchmal schwer fällt, überhaupt noch aktiv zu werden. Mein Energiehaushalt schwankt seit meiner Coronainfektion im September 23 und die Zeit, in der ich oft für Tierrechte demonstriert habe, hat mich einigermaßen zermürbt. Denn die Resonanz war eher verhalten. Und ich merkte, wie mit zunehmend hohem Krisenstapel (Pandemie, Klimaerhitzung, Krieg) die Menschen in der Hamburger Innenstadt immer weniger aufnahmebereit wurden und lieber schnell an uns vorbei huschten.

Nicht nur in den USA gilt von autoritärer Seite aus die Devise: „Flood the zone with shit!“ Das Ziel ist, durch das schnelle und dauerhafte Abfeuern von wilden Nachrichten und grenzübertretenden Maßnahmen die Bevölkerung mental und emotional zu überfordern. Dadurch verfällt sie praktisch in Schockstarre oder gibt auf jeden Fall die Hoffnung auf Selbstwirksamkeit auf.

2003 erklärte Bernie Sanders in einer Vorlesung eine weitere Strategie: Der Wohlstand ist immer ungleicher verteilt und einige Wenige sind hauptsächlich dafür verantwortlich, dass unsere Lebensgrundlagen zerstört werden. Um davon abzulenken, werden Debatten über Kampfbegriffe wie „Migration“, „Wokismus“, „Gender“ oder „trans“ und über Identitätspolitik („Die Grünen!“) künstlich durch mantraartige Wiederholung im allgemeinen Bewusstsein am Köcheln gehalten.

Statt auf den Kaiser ohne Kleider, der ein Vielfaches seiner gerechten Portion verzehrt, zeigen wir auf ein paar trans Menschen und Bürgergeldempfangende, als seien diese die Ursache für unsere Zukunftsängste. Solange wir keine eigenen Strategien entwickeln und konsequent anwenden, lassen wir uns schweigend und immerhin nicht aneckend das Drehbuch diktieren.

Welche Rolle wird Mitmenschlichkeit in der Zukunft spielen?

Wir können die Dinge so weiter laufen lassen. Dann sind die USA eine gute Kristallkugel, in der sich unsere Zukunft abzeichnet. Autoritäre Kräfte in der Politik werden an Einfluss gewinnen und viele Menschen könnten relativ schnell bereuen, sie gewählt zu haben.

Eigentlich bricht die Gesellschaft entlang der Linie „Reich an Wohlstand und Macht“ und „alle Anderen“ auseinander. Trotzdem geraten ein paar Gruppierungen schneller unter die Räder als andere. Je weniger privilegiert eine Person ist, umso ungünstiger.

Arm, behindert, trans, queer, mit Migrationshintergrund oder auch weiblich sind solche Eigenschaften. In Weltbildern wie beim Project 2025 haben sie einen geringen Wert. Konkret sind es in Deutschland Unternehmen wie NiUS (finanziert von Frank Gotthardt, der zum Beispiel mit Frau Klöckner gut vernetzt ist), die sehr strategisch die Demokratie demontieren.

Auch in Deutschland sind diskriminierte Gruppen Zielscheibe von Propaganda. Die verschwindend kleine Zahl von Menschen, die sich der Vermittlung in den Arbeitsmarkt verweigern, ist zum Beispiel der Aufhänger dafür, Personen im Bürgergeldbezug generell unter Verdacht zu stellen. Je öfter dieses Spiel funktioniert, umso häufiger findet es statt.

Alternativ haben wir die Option, uns mit weniger Privilegierten solidarisch zu verhalten und Haltung zu zeigen. In ein paar Jahren, werden wir im Rückblick sehen, was wir gemacht und gesagt haben, als Leute mit viel Einfluss versuchten, die Mitmenschlichkeit zurück zu drängen.

Wenn sie für trans Menschen kommen, werde ich das nicht schweigend hinnehmen. Weil ich Martin Niemöllers Worte gehört habe und weiß, wie das Zitat endet.

Ganz abgesehen davon, dass ich Ausgrenzung unfair finde, wird eine Zukunft ohne ein Mindestmaß an Solidarität für die Wenigsten von uns lebenswert sein. Es geht nicht nur um meine Mitmenschen, sondern auch um mich und letztlich um unsere freiheitliche demokratische Gemeinschaft.

So beziehst du Stellung für Mitmenschlichkeit!

Online

In Social Media Debatten habe ich oft genug Zeit und Nerven investiert, ohne dass ich damit etwas erreicht hätte. Es ist neben der allgemein polarisierten und aufgeheizten Stimmung sehr leicht, an Bots oder Trolle zu geraten. Gleichzeitig gibt es mit IchBinHier immer noch wackere Menschen, die sich in den großen Netzwerken digital der Hetze entgegen stellen. Ob du dich da anschließt, hängt von deinem Nervenkostüm ab.

Stattdessen folge ich Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind und teile ihre Beiträge. Ich lerne von ihnen über Barrierefreiheit und über strukturelle Benachteiligungen. Mich mit dieser Realität zu befassen, ist der erste Schritt, um überhaupt eine Haltung zu entwickeln. Mit meinem Weggang von Meta lese ich leider die unterhaltsamen und lehrreichen Beiträge von zum Beispiel Gina Hitsch nicht mehr. Sie ist ein guter Startpunkt und auch auf TikTok zu finden.

Ich nutze immer stärker meinen Blog, um öffentlich Haltung zu zeigen. Meine Beiträge bleiben hier so lange stehen, wie ich das möchte. Ich muss mich keinem Algorithmus unterwerfen, nicht auf Klickzahlen hin schreiben und kann so klar und deutlich formulieren, wie ich es für richtig halte.

Außerdem vernetze ich meinen Blog immer mehr, unter anderem hier:

Dabei sehen nicht nur andere Menschen meine Beiträge. Sondern ich entdecke auch viele interessante Standpunkte, die mir durch Meta gar nicht aufgefallen wären.

Wenn ich mich an Petitionen beteilige, dann am liebsten direkt bei der E-Petitionenplattform des Bundestages. Denn wenn diese die Mindestzahl an Stimmen erreichen, müssen sie offiziell besprochen werden. Bisher habe ich selbst noch keine Petition eingereicht, allerdings ist dieser Blogpost meine Erinnerung daran, das einmal zu tun.

Offline schreiben

Ich schreibe immer wieder Briefe und E-Mails an Politiker:innen und öffentlich rechtliche Medien. Interessanterweise habe ich aus der Politik von der SPD, den Bündnis-Grünen und den Linken immer Antworten bekommen. Aus der CDU nur einmal vom Kandidaten meines Kreises vor der Wahl. Nach der Wahl war ich ihm auf einen weiteren Brief hin keine Antwort mehr wert. Trotzdem ist es mir wichtig, dass Entscheidungsträger:innen wissen, was mir auf der Seele liegt.

Hier findest du deine Bundestagsabgeordneten mit Adressen:

Hier sind die Kontaktmöglichkeiten für ARD und ZDF:

Diese Medien fragen auch aktiv nach deiner Meinung. Unter „ZDF Mitreden“ und „NDR fragt“ bekomme ich regelmäßig E-Mails mit einem Link zur aktuellen Umfrage. Für die NDR-Umfragen musst du in Norddeutschland leben, aber ansonsten bieten sehr wahrscheinlich die anderen ARD-Anstalten eigene regionale Mitspracheoptionen an.

Im Alltag bemühe ich mich, ein Vorbild zu sein. Wenn mir in meinem Unterricht verletzende Sprache auffällt, spreche ich das zum Beispiel an. Nicht vorwurfsvoll, aber klar und deutlich. Auch solche kleinen Gespräche stehen für Stellung beziehen für Mitmenschlichkeit.

Offline netzwerken

Wenn mein Energielevel dafür ausreicht, nehme ich an Demonstrationen teil. Dafür bin ich den „Omas gegen Rechts“ beigetreten und sehe regelmäßig auf der Webseite von Demokrateam nach. Im dazugehörigen Blog gibt es sogar eine Anleitung, wie du selbst eine Demo anmelden kannst.

Sich in einem Ehrenamt für Mitmenschen einzubringen, ist ganz nebenbei gut für die Seele. Ansonsten hilft auch der Beitritt in einem Verein oder einer Partei, mehr mit Menschen in Kontakt zu kommen, die auch Stellung beziehen für Mitmenschlichkeit und für einen solidarischen Umgang miteinander.

Es gibt Seminare für eine klare Sprache gegen Diskriminierung, Listen mit lokalen Bündnissen, und wenn du gerne Menschen finanziell dabei unterstützen willst, dass sie Haltung zeigen, gibt es Polylux e.V.. Und ganz groß gedacht ist vielleicht das Projekt von Martin Oetting interessant für dich.

„Wir müssen dringend wieder lernen, uns zu organisieren – nicht trotz unserer Unterschiede, sondern gerade wegen ihnen. Warum es Zeit ist, den Rückzug ins Private zu beenden und Politik wieder als das zu begreifen, was sie im besten Fall ist: Gemeinsames, solidarisches Ringen um eine bessere Welt.“

Martin Oetting

Unsere Gesellschaft lebt davon, dass wir uns im Rahmen unserer Möglichkeiten einbringen, statt uns eingeschüchtert und entmutigt zu verkrümeln und zuzusehen, wie die Mitmenschlichkeit Stück für Stück demontiert wird. Lassen wir uns nicht ablenken! Zur extra Motivation setze ich mir das aktuelle Buch von Christina Christiansen auf die Leseliste. Ein Zitat daraus:

„Demokratie stirbt nicht an einem Putsch. Sie stirbt in kleinen Schritten: an wegsehenden Nachbarn, an schweigenden Abgeordneten, an Medien, die sich vor der Schlagzeile fürchten. Und wenn wir endlich merken, dass sie tot ist – dann ist es zu spät.“

Christina Christiansen

Wie siehst du das Thema?

Was bedeutet für dich Stellung beziehen für Mitmenschlichkeit? Wie wichtig ist das deiner Ansicht nach und was sind deine Ansatzpunkte dabei?


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