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Mehrsprachig: Nahaufnahme einer Frau, die an einem Baum lehnt. Um ihren Kopf herum schweben die Flaggen von Frankreich, UK, Dänemark und des klingonischen Reiches sowie das Wappen Schleswig-Holsteins

Mehrsprachig träumen und wünschen

Bin ich mehrsprachig und wenn ja, was macht das mit mir? Der Blogparadensommer ist großenteils beendet, auch Ursula Eggers hat ihre Challenge der Mehrsprachigkeit am 1. September geschlossen. Jetzt reiche ich also knapp verspätet meine Gedanken nach.

Wo bin ich mehrsprachig?

Meine Sprachen

In der Schule habe ich so viele Sprachen mitgenommen, wie in den Stundenplan passten. Es waren allerdings die üblichen Verdächtigen: Englisch, Französisch, Latein. Meine Französischkenntnisse entstaube ich jetzt mit großem Zeitversatz und kleinschrittig auf Duolingo. Ich glaube auch nicht, dass ich noch aus dem Stand ein Gedicht von Catull übersetzen könnte, jedenfalls nicht mit großer Ästhetik 😀

Andererseits unterrichte ich Mathematik, Naturwissenschaften sowie naturwissenschaftliches Deutsch auf Anfrage auf Englisch. Umgekehrt habe ich meine Diplomarbeit und Doktorarbeit auf Englisch geschrieben. Als Lehrerin habe ich ein Jahr lang in der zweiten Klasse einer bilingualen Grundschule Mathe auf Englisch unterrichtet. Es passiert äußerst selten, dass mir ein englischer Begriff unterkommt, den ich nicht kenne. Grundsätzlich biete ich auch Nachhilfe im Fach Englisch an. Bisher ist jedoch der Bedarf an Mathematik deutlich höher 🙂

Noch heute profitiere ich vom damaligen gleichzeitigen Lernen mehrerer Sprachen nebeneinander. Mich faszinieren die Verwandtschaftsverhältnisse genauso wie die Unterschiede. Ich habe als Kind begeistert den Etymologieband aus der Dudenreihe meiner Eltern gelesen und freue mich auch heute noch, wenn mir klar wird, wo ein Begriff ursprünglich herkommt. Auch wenn ich viele Sprachen nicht wirklich beherrsche, schnappt mein Gehirn beim Lesen Muster und wiedererkennbare Schnipsel auf, die mir grundsätzliche Botschaften erschließen.

2022 habe ich angefangen, Dänisch zu lernen. Ohne Hintergedanken und Anlass, nur für mich. Diese Sprache ergänzt Deutsch und Englisch zu einem lustigen Trio: Alle drei haben untereinander große Schnittmengen, und immer wenn ich denke, dass ich die Ähnlichkeiten im Griff habe, kommt wieder eine neue Überraschung und ein grammatikalischer Alleingang 😀 Ich liebe die Verbundenheit, auch die historische. Außerdem genieße ich, dass es mit den dreien nie langweilig wird. Unter anderem auch durch den Instagram-Account der Nearly Danish Dame. Ein weiterer Instagram-Account, den ich verfolge, ist von den Language Nerds. Nicht alle ihre Beiträge begeistern mich. Aber manchmal sind solche Sätze darunter:

Being bilingual means double the sad songs you can cry to.

The.Language.Nerds

In meinem Duolingo-Profil ist zu sehen, dass ich auch in Türkisch und kurzzeitig in Chinesisch reingeschnuppert habe. Daneben lerne ich mehr oder weniger beständig Klingonisch. Ich wünschte, es gäbe auch eine gute App für Plattdeutsch. Letzteres verstehe ich, aber wie so viele Menschen traue ich mir nicht zu, es zu sprechen. Dabei wäre gerade Plattdeutsch eine besondere regionale Verwurzelung. Hätte der Tag mehr Stunden, würde ich wohl immer weiter neue Sprachen dazulernen.

Was macht Mehrsprachigkeit so wertvoll?

Während ich in England lebte, verschob sich mein Sprachgebrauch so sehr, dass ich gewohnheitsmäßig auf Englisch träumte. Lassen sich auf Deutsch Sachverhalte präzise und kompakt ausdrücken, habe ich am Englischen schon in der Schule die Eleganz geliebt, wie viel wir mit der Wahl einer Zeitform ausdrücken können, und wie lebendig das englische Vokabular die abwechslungsreiche Geschichte der Besiedelung der britischen Inseln widerspiegelt.

Sprache ist mehr als nur schlichte Weitergabe von trockenen Informationen. Sie ist Verbindung, Rückbindung an lange vergangene Zeiten, Rätsel, Kunstform, Grundlage für Humor und Identität. Wer mehr als eine Sprache versteht, ist in mehreren Welten zuhause. Die Art des Denkens verändert und erweitert sich, wenn ich mich darauf einlasse, noch einmal ganz neu sprechen und hören zu lernen.

Die Gleichzeitigkeit erlaubt es, Geschichten, Liedtexte und auch Witze mehrsprachig wie durch verschiedene Filter zu betrachten, wobei manchmal eine Mehrdimensionalität entsteht, die ansonsten nicht sichtbar würde. Und gleichzeitig wird auch deutlich, dass Menschen verschiedenster Nationen am Ende mehr Gemeinsames haben als Trennendes.

Wer wird gesellschaftlich als mehrsprachig geschätzt?

Als wir in England lebten, haben mein Mann und ich untereinander immer Deutsch gesprochen. Auch in der Öffentlichkeit. Das war höchstens dann problematisch, wenn die deutsche Nationalelf der Männer mal wieder im Fußball gewonnen hatte 😉 Ansonsten sind wir nie als unangemessen mehrsprachig angeeckt.

Bilinguale Kinder in Deutschland werden dagegen unterschiedlich wahrgenommen. Hier in Halstenbek gibt es zum Beispiel eine japanische Schule und wenn jemand Japanisch kann, wirkt das beeindruckend. Es wird damit relativ automatisch ein hoher Bildungsgrad assoziiert.

Unter meinen Schüler:innen sind allerdings auch einige, die Türkisch, Arabisch oder Persisch sprechen. Eine Zeitlang habe ich Deutsch als Zweitsprache mit geflüchteten Jugendlichen unterrichtet, und 2023 hat eine meiner Matheschülerinnen Abitur gemacht, die in dritter Generation hier lebt und deren Familie familiär in der Türkei verwurzelt ist.

Diese intelligente junge Frau musste immer wieder gegen Schubladen kämpfen, in die sie gesteckt werden sollte. „Es ist ja auch okay, wenn du später auf dem Bau arbeitest“ war eine dieser Zuschreibungen aus der Grundschulzeit. Ohne Begründung bekam sie schlechte Noten in Deutsch und musste sich für das Abiturzeugnis eine Neubewertung ihrer mündlichen Mitarbeit erstreiten. Sie spricht akzentfrei Deutsch und Englisch und ist um eine Sprache mehrsprachiger als Mitschüler:innen. Trotzdem nahm sich die Deutschlehrerin heraus, willkürlich das eventuelle Erreichen eines Numerus Clausus zu gefährden.

Wenn Kinder die „falschen“ zusätzlichen Sprachen beherrschen, wird das oft nicht als Bilingualität geschätzt, sondern eher als Makel angekreidet. Es wird gefordert, dass diese Kinder zuhause bitteschön Deutsch sprechen sollen. Auch in der Öffentlichkeit und auf dem Pausenhof sind nicht alle Sprachen gleichwertig. Obwohl ich besonders Türkisch und Persisch akustisch wunderschön finde, scheinen diese Sprachen nicht bedeutend genug zu sein, um Kindern und Jugendlichen ihre Identität und Verwurzelung zu lassen. Mir hat mein englisches Umfeld das auch zugestanden.

Mehrsprachige Gerechtigkeit

Ich gönne mir den Luxus, Sprachen zu sammeln und sie als Kaleidoskop aus Gedanken, Begriffen und Geschichten zu genießen. Genauso würde ich mir wünschen, dass die Leistung aller mehrsprachigen Menschen gleichermaßen anerkannt würde. Dass alle Sprachen als bereichernd wahrgenommen würden.

Wenn ich in einem Land lebe, sollte ich dessen Sprache beherrschen, keine Frage. Ich sollte mich problemlos mit Behörden und Mitmenschen verständigen können. Persönlich würde ich auf keinen Fall irgendwohin auswandern, wo ich wüsste, dass ich kein Wort in der Landessprache verstehe. Wer nach mehreren Jahren noch die eigenen Kinder zum Dolmetschen aufs Amt mitnimmt, braucht wirklich noch einen Sprachkurs und etwas mehr Bereitschaft zur Integration.

Und gleichzeitig wünsche ich mir, dass wir uns allen gegenseitig Akzente zugestehen, und diese jeweils auch versuchen, gleich zu werten. Für Geschmäcker kann niemand etwas. Natürlich klingen auch in meinen Ohren nicht alle Sprachen gleich schön. Und gleichzeitig kann ich ein Bewusstsein dafür haben, ob ich reflexhaft anhand eines Akzentes die Intelligenz, Kultur oder Wertigkeit eines Menschen unterschiedlich einschätze. Mit diesem Bewusstsein wäre schon sehr viel Verständigung gewonnen.

Was heißt für dich „mehrsprachig“?

Wie erlebst du mehrsprachige Kommunikation? Findest du die Geschichte der Entwicklung mancher Sprachen auch so spannend? Und ist es dir auch in deiner Umgebung aufgefallen, wie ungleich es uns zugestanden wird, die eigene Muttersprache zu pflegen?


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Kommentare

6 Antworten zu „Mehrsprachig träumen und wünschen“

  1. Hallo Angela,

    ich teile Deine Begeisterung für das Sprachenlernen. Kennst Du die App „Op Platt“? Vielleicht kannst Du damit das Sprechen ein wenig üben. Ich kann Plattdeutsch leider auch nur verstehen, hab mir inzwischen aber einen Kurs besorgt und arbeite sporadisch damit.

    LG Ursula

    1. Liebe Ursula,
      bisher kannte ich die noch nicht, vielen Dank für den Tipp!
      Liebe Grüße
      Angela

  2. Ohhh wie beneideswert! Ich habe mehrsprachige Menschen immer bewundert und mir schon als Kind im Stillen ein fremdsprachiges Elternteil oder die Übersiedlung in einen anderen Sprachraum gewünscht. – War aber nicht. Unsre Mutter wollte nicht mal in Urlaub fahren, wo sie die Leute nicht versteht – das war ihr ein Alptraum. Hätte niemals einen Anderssprachigen geheiratet…

    In der Schule wurde mir nur Russisch und Englisch angeboten. Englisch wollte ich nicht, weils in meinen Ohren grausig klingt. Das empfinde ich heute noch so, auch wenn ich durchs Bloggen etwas Englisch schreiben/lesen gelernt hab – dabei musz ich es ja nicht hören 😉

    Im slawischen Raum komme ich einigermaszen zurecht, so dasz ich auch Ähnlichkleiten erkenne, nach Wortstämmen verstehe. Leider längst nicht wirklich gut, aber eine grosze Bereicherung für mich. Ja, ich träume manchmal russisch und da kann ich es perfekt. Wach habe ich allerhand Lücken. Es gibt aber Worte und Sätze, die dcenke ich russisch, wiederhole sie still für mich, nur weils sie schöner klingen als Deutsch (solche Gewohnheiten finden sonst auch alle Leute hier blöd).

    Dänisch oder Holländisch klingt für mich zum Davonlaufen.
    Arabisch, Persisch und die Turkspachen – auch Baschkirisch, Tatarisch und was sich mit Raum Orjol mit Russisch vermischt (ich höre es öfter auf einem youtube-Kanal)…faszinieren mich sehr. Ohne ein Wort zu verstehen.

    Da ich Synästhetikerin bin, hab ich fremde Sprachen schon als Kind oft wie mit Gold-und Silberfäden durchwirkte farbige Stoffe erlebt.
    Ein Studium in der Richtung war mir seinerzeit in der DDR nicht möglich, gab es auch kaum. Aber, wie gesagt: ich musz eine Sprache nicht verstehen, um sie wertzuschätzen und zu genieszen in ihrem Klang.

    In meiner Schule gab es damals leider nur deutschsprachige Kinder… ich gäbe viel drum , heut nochmal Kind unter fremdsprachigen Kindern zu sein. Da ist wohl vieles leichter zu lernen.
    Fremdsprachige Nachbarn hab ich mir auch oft gewünscht und zwar möglichst viele Verschiedene. Gibts aber kaum in meiner Kleinstadtpampa.
    Bleibt mir nur, etwas wohlklingendes im Web zu genieszen – ja, wenn ich das nicht hätte – – – Es wäre auf jeden Fall ein ärmeres Dasein.

    Liebe Grüsze
    Mascha
    (bin jetzt duch Blogs50Plus wieder bei Dir gelandet)

    1. Liebe Mascha,
      vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar! Ich kann dein Bild von den gold- und silberdurchwirkten Stoffen total nachvollziehen. Russisch finde ich vor allem gesungen wunderschön und da hat es auch für mich etwas brokatartiges. Meine Schwester hat tatsächlich in der Schule ein paar Jahre Russisch gelernt, für mich ist das alles unverständlich. Mein Hirn saugt sich eher an indogermanischen Sprachen fest und findet da Muster. Aber schön finde ich slawische Sprachen auf jeden Fall.

      Ich freue mich sehr, dass du von den Möglichkeiten des Internets so profitierst. Es ist schon der Hammer, was da alles geboten wird 😀 Auch die Vernetzung der Blogs. Vor allem damit hatte ich gar nicht mehr gerechnet, war früher auch eine Weile bei Twoday und danach bei Blogspot und hatte gedacht, dass die Blogosphäre dabei wäre, sich im Sande zu verlaufen.

      Liebe Grüße
      Angela

  3. Ich bewundere Menschen die nicht nur eigene Muttersprache können sondern zwei oder mehr Sprachen Sprechen. Es ist wirklich schön sich mit den Menschen zu unterhallten ohne ein Wörterbuch in der Hand zu halten (obwohl heute ist das mit dem Googleübersätzer schon wirklich einfach)
    Wahnsinn… ich habe Schwierigkeiten mit zwei Sprachen die ich fast 100% verstehe (Polnisch und Deutsch) aber wenn ich mich ausdrucken soll, dann merke ich das ich viel verlernt oder falsch gelernt habe. Irgendwie in beiden Sprachen bin ich schwach … und dennoch versuche ich ein Blog zuführen mit vielen Fehlern in den Texten 🙂

    Viele Grüße czoczo

    1. Lieber Czoczo,
      ich bin auch froh, dass es den google-Übersetzer gibt 😀 Es geht ja auch nicht darum, perfekt zu sein, sondern darum, Kontakt aufzunehmen. Finde ich 🙂 Und da freue ich mich über jeden Blog da draußen 🩵 Danke fürs Lesen und für deinen Kommentar!
      Liebe Grüße
      Angela

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