Als Nachhilfelehrerin erlebe ich oft frustrierte Schüler:innen. Sie sehen Fehler als Scheitern und Fragen als Zeichen von Schwäche. Besonders die Mathematik ist für viele eine Herausforderung, für mich ist sie so sehr Hobby, ich würde meinen Unterricht auch kostenlos geben. Mathe und ein paar andere Dinge fallen mir leicht. Dafür gibt es anderes, bei dem ich einsehen muss: Das kann ich nicht.
Anna Koschinski schrieb dazu einen inspirierenden Blogpost. Also blogge ich hier auch einmal ausdrücklich über das, was ich nicht oder nur schlecht kann. Denn das Meiste ist für uns realistisch gesehen nur schwierig statt wirklich unmöglich. Fliegen kann von uns zum Beispiel niemand. In anderen Bereichen haben wir unterschiedliche Talente.
Was kann ich nicht gut?
Mein privater Alltag
Körperbeherrschung
Als Kind dachte ich, das ist normal: Ich hatte in den meisten Fächern gute Noten, aber nicht in Sport. „Dir kann man die Schuhe im Gehen besohlen!“ war nur ein Kommentar einer Lehrerin. Am Fußballspiel in der Pause habe ich nie teilgenommen: Zu laufen, einen Ball zu führen und in ein Tor zu treten, anderen Menschen auszuweichen und mich bei all dem nicht auf die Nase zu legen, ist für mich nicht machbar.
In der 13/1 hätte ich fast einen Fehlkurs in Sport bekommen, dabei war ich immer pünktlich erschienen, hatte immer mit auf- und abgebaut und mich richtig reingehängt. Leider bin ich an der Leichtathletiktabelle mit voller Wucht gescheitert. Zum Glück hat mein Lehrer sich auf 5 Punkte erweichen lassen. Diese Geschichte teile ich besonders gerne und häufig mit meinen Schüler:innen.
Mein Gleichgewichtssinn ist unterdurchschnittlich, und im Dunklen lustigerweise gar nicht mehr vorhanden. Das geht so weit, dass ich keine 3D-Computerspiele spielen kann, ohne mich aus Kreislaufgründen hinlegen zu müssen.
Lange habe ich geglaubt, auch das sei normal: Es gibt keinen Tag in meinem Leben, an dem ich nicht irgendwo mindestens einen blauen Fleck habe. Vorhin habe ich mir den rechten Daumen in der Rosenschere eingeklemmt, und ich habe mehrere Sets Wein- und Sektgläser sowie diverse Glasschüsseln auf dem Gewissen. Und einige Teekannen in unserem Haushalt müssen ohne Deckel klarkommen.
Organisation und Motivation
Mir fallen diese beiden Punkte immer wieder schwer. Um Aufgaben zu erledigen, die ich langweilig finde, trickse ich mich inzwischen mit einer gamifizierten App aus. Immer wieder fange ich mit großem Elan Projekte an und dann geht mir zwischendrin die Lust aus. Dann kann ich ein neues Fach in meinen Regalen, die genauso gut „Hobbyfriedhof“ heißen könnten, befüllen.
Ich bin regelmäßig auf den letzten Drücker zum Aufbruch bereit. Und immer wieder suche ich nach meiner Brille, was für eine kurzsichtige Person eine echte Herausforderung ist. Ein Teil von mir würde sich wünschen, dass ich Angekündigtes und Versprochenes rechtzeitig anfange. Der andere Teil ist immer wieder mit anderen Tätigkeiten abgelenkt, bis es kurz vor Abgabetermin ist.
Und gerade über meinen eigenen Hang zum Verschieben und Verzetteln rede ich sehr offen mit meinen Schüler:innen. Weil das menschlich ist. Und weil ich ihnen natürlich trotzdem rate, es besser zu machen als ich 😀
Meine Mitmenschen
Ich mag andere Menschen wirklich gerne. Und gleichzeitig fällt es mir sehr schwer, am Ball zu bleiben und mich regelmäßig zu melden. Ein paar Personen aus meinem Umfeld melden sich zuverlässig bei mir und dafür bin ich sehr dankbar.
Fremde anzusprechen ist eine Frage der Tagesverfassung. Gerade im veganen Outreach habe ich gelernt, über meinen Schatten zu springen, aber oft vermeide ich die Kontaktaufnahme wie der Teufel das Weihwasser. Vor allem, wenn ich das Gefühl habe, in einem Machtgefälle unten zu stehen. Und sei es nur, dass ich in einem Geschäft eine spezielle Frage nach einem Produkt habe.
Besonders drücke ich mich davor, Menschen anzurufen. Das war für mich der schlimmste Teil meines Daseins als Lehrerin. Und auch hier ist es noch schwieriger, wenn ich die anzurufende Person nicht kenne. Anders herum nehme ich auch extrem ungerne Telefongespräche entgegen.
Berufliches
Wie schon gesagt, ich unterrichte so gerne, dass ich das eigentlich nicht bezahlt haben müsste, wäre ich nicht auf ein regelmäßiges Einkommen angewiesen. Entsprechend muss ich mich immer wieder sehr konzentrieren, um meine Rechnungen rechtzeitig fertig zu machen und zu verschicken.
Immer wieder quellen meine Ablagen mit den Arbeitsblättern über. Und ich frage mich, wer da nachts durch meinen Unterrichtsraum geistert und alles durcheinander bringt 😉 Es ist ein stetiges Arbeiten gegen die Papierlawine. Und ich gehe nicht davon aus, dass ich vor meiner Rente noch mal das große Organisationssystem entdecke, mit dem meine Aufgabensammlung endlich adrett aussehen wird.
Und dann ist da noch alles, was mit Paragraphen zusammenhängt. Ich lese sehr gerne, aber da verschwimmt mir alles vor den Augen und im Gehirn kommt nur die Hälfte an. Zu allem, was das Finanzamt oder sonstige Behörden angeht, muss ich mich mit übermenschlicher Anstrengung zwingen.
Was ich nie probiert habe
Manches kann ich vielleicht, habe es aber nie versucht. Anderes kann ich nicht, weil ich nie den Impuls hatte, es zu lernen. Zum Beispiel kann ich auf Plattdeutsch keine Konversation führen. Ich beherrsche Gebärdensprache nicht, weil ich mir nie die Zeit genommen habe, sie zu lernen.
Es gibt viele kreative Techniken, die ich bewundere: Brettchenweben, Sticken, Acrylmalerei. Ich sehe mir sogar immer mal wieder Videos dazu an, weil ich die Vorgänge so ästhetisch finde. Und gleichzeitig kann ich mir diese Tätigkeiten für mich nur schwer vorstellen. Genau wie ich sehr gerne Klavier und Cello höre und im Leben nicht lernen muss, diese Instrumente zu spielen.
Selbst wenn ich es wollte: Ich kann am Ende auch nur sehr unwillig einsehen, dass mein Tag nur 24 Stunden hat und mein Jahr nur 365 Tage. Ich hätte gar nicht die Zeit, alles auszuprobieren, was ich gerne können oder lernen würde.
Warum das „kann ich nicht“ ansehen?
Wir leben in Zeiten der Selbstdarstellung. Gerade in den „sozialen“ Medien geht es oft darum, uns als kompetent zu verkaufen. Oft buchstäblich, weil an vielen Profilen ein Onlinebusiness dranhängt und viele YouTube-Kanäle monetarisiert sind. Da ist natürlich das große Trommeln gefragt, schließlich wollen wir ja mit unseren Dienstleistungen gebucht werden.
Und es ist auch nicht ganz verkehrt. Eine der Blogparaden, an die ich mich besonders gern erinnere, war Lorena Hoormanns DaraufBinIchStolzListicle. Denn viel zu oft tragen wir online viel scheinbares Selbstbewusstsein nach außen und fühlen uns nach innen deutlich inkompetenter und nicht authentisch. Hier haben sich 52 Blogger:innen ihre persönlichen Schatzkästchen mit richtig spannenden Stärken und Erfahrungen geschaffen.
Gleichzeitig finde ich es erfrischend, nicht in allem gut sein zu müssen. Wenn ich meinen Schüler:innen sage, was ich nicht kann, schafft das Perspektive und mehr Augenhöhe. Und damit auch weniger selbst auferlegten Leistungsdruck für sie.
Das Eine oder Andere kann ich nicht. Und daraus ergibt sich für mich keine Liste an Dingen, die ich mir antrainieren muss. Sondern ein Bild meiner Persönlichkeit, in der auch Platz ist für Schwächen. Ich kann mir Hilfe holen, von anderen Menschen und von Geräten oder Apps.
Wir müssen gar nicht alles können. Da, wo unsere Fähigkeiten aufhören, kommen wir in Kontakt mit anderen Menschen, die diese Sache besser beherrschen. Es liegt nahe, dass besonders in unseren frühen Zeiten Kooperation ein Evolutionsvorteil war. Und so ist das, was ich nicht kann, ein Motor für die Weiterentwicklung der Menschheit. Damit kann ich gut leben.
Was fällt dir schwer?
Gibt es bei dir Überschneidungen oder Unterschiede zu meinen Kompetenzlücken?
Wie geht es dir damit, etwas nicht zu können?
Wie gehst du damit um, im privaten Alltag und im Berufsleben?
Und siehst du noch weitere Vorteile darin, etwas nicht zu können?
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