Die Begriffe Bürgergeld, Stadtbild und Brandmauer prägen die Nachrichten. Wie bei den veganen Würstchen sehe ich darin allerdings hauptsächlich Nebelkerzen, um die Bevölkerung zu polarisieren und mit fruchtlosen Debatten zu beschäftigen. Im Unterschied zu pflanzlichen Produkten, die so oder so gegessen werden, werden hier aber Zielscheiben auf Personen aus marginalisierten Gruppen gezeichnet.
Überzogene Ankündigungen beim Bürgergeld
Lange hat unsere Regierung angekündigt, mit Sanktionen gegen Menschen im Bürgergeldbezug zweistellige Millardenbeträge zu mobilisieren. Zuletzt stellte sich heraus, dass bei Anwendung der angekündigten Maßnahmen eher 86 Millionen Euro eingespart werden können. Und das setzt voraus, dass diese Maßnahmen mit der Verfassung konform sind.
Es ist sehr unplausibel, dass die Herren Merz und Linnemann das nicht vorher wussten. Auch Bärbel Bas muss gewusst haben, dass bei den wenigen „Totalverweigerern“ für den Behördenaufwand nur sehr unangemessen wenig zu holen ist, als sie sagte:
„Wer mitmacht, der hat überhaupt nichts zu befürchten“
Das klingt nicht halb so beruhigend, wie sie es gemeint haben könnte. Bei der aktuellen globalen politischen Entwicklung hätte ich mir hier eine andere Formulierung gewünscht. So antworte ich mit Timothy Snyder, der in „On Tyranny“ schrieb:
„Don’t obey in advance“
Merz und das Stadtbild
Mitten in die Aufregung um das Bürgergeld herum problematisierte Herr Merz dann noch das „Stadtbild“. Und zwar im Kontext der Migration. Er brauchte keine Details hinzu zu fügen, damit wir wussten wen er meint. Auch andere Mitglieder der Union verteidigten diese Rhetorik damit, dass ja wohl alle Menschen in Städten das gleiche Problem empfinden.
Wieder wird Gefühl vor Realität gesetzt. Befindlichkeit schlägt Wirklichkeit. Und wieder kann ich nicht glauben, dass die Beteiligten nicht wissen, was sie da machen und sagen.
Es gibt hauptsächlich zwei Möglichkeiten. Entweder wissen sie es wirklich nicht besser und sind nicht kompetent für ihre verantwortungsvollen Posten. Oder sie setzen diese Narrative ganz bewusst ein. Beides ist aus meiner Sicht beunruhigend.
Dass Frauen als Argument vorgeschoben werden, ist noch besonders bemerkenswert. Denn auf der anderen Seite sind Frauen stärker gefährdet, in Armut zu geraten. Arme Frauen sind dann allerdings als potentielle Totalverweigerinnen wieder verantwortlich für das, was in Deutschland schief läuft.
Die Brandmauer – Fantasie und Wirklichkeit
Im späteren Verlauf bekannte sich Herr Merz zur Brandmauer gegen die AfD. Deren „Inhalte und Positionen seien unvereinbar mit den Werten der Christdemokratie und damit auch der CDU“.
Ist das so? Die Merz-Regierung blockiert im Klimaschutz, will keine Diskussion über Steuern für Überreiche, stattdessen Menschen an der Armutsgrenze zum Teil 100% der Bezüge streichen. Zusätzlich gibt es in der EU wieder Grenzkontrollen, mehr Abschiebungen und Herr Merz verwendet rassistische Formulierungen um das gefühlte Stadtbild herum. Alles nahtlos mit den Grundsätzen und Werten der AfD kompatibel.
Aus meiner Sicht besteht die Brandmauer der Union aktuell zum Teil eher aus Wunschdenken statt aus Prinzipien. So wird das Halbieren nicht funktionieren.
Was ist das eigentliche Problem an der Debatte um Bürgergeld, Stadtbild und Brandmauer?
Neben der Ablenkung von existenziellen Krisen schafft die Merz-Regierung Sündenböcke. Sie stellt marginalisierte Gruppen mit wenig Einfluss zur allgemeinen Diskussion und macht sie für tatsächliche und gefühlte Fehlentwicklungen der Gesellschaft verantwortlich.
Wie das aus Sicht der Betroffenen wirkt, beschreibt Anwar sehr nachvollziehbar:
Und darum geht es: Das Problem ist nicht die Differenz zwischen Milliarden und Millionen. Oder die Abschieberate an den Grenzen. Sondern dass in diesem Land Menschen beschämt und in Angst und Schrecken versetzt werden, deren einziges Vergehen es ist, dunkle Haare zu haben oder arm zu sein. Diese Menschen zahlen den Preis für die Rhetorik und die politischen Entscheidungen unserer Regierung.
Ich finde das untragbar. In einem Blogbeitrag von Bob Blume zur Frage, was er eigentlich gegen rechts hat, las ich ein sehr treffendes Zitat:
„Jeder ist jemand.“
George Tabori
Wir sehen in den USA wie in einer Kristallkugel, in welcher Art von Staatsform wir uns wiederfinden könnten. Wenn wir nicht rechtzeitig aufhören, uns frustriert zurückzuziehen. Wenn wir nicht diese vielen Menschen sehen, die jemand sind und deren Würde gerade sehr massiv angetastet wird. Bis hin zum Anstieg der Gewalt gegen Obdachlose.
Was können wir tun?
Wir sollten uns nicht in eine endlose Diskussion um Bürgergeld, Stadtbild und Brandmauer hinein ziehen lassen. Stattdessen lohnt es sich, unsere Aufmerksamkeit denen zu schenken, die uns als Sündenböcke präsentiert werden.
In den sozialen Medien schreiben Menschen unter #ArmutsBetroffen über ihre Erfahrungen. Über Post von Behörden, die manchmal zu spät kommt, so dass sie Termine nicht einhalten können und trotzdem mit Sanktionen belegt werden.
Die Organisation Sanktionsfrei von Helena Steinhaus hilft in solchen Fällen und informiert generell über die Absurditäten hinter dem Bürgergeld und die Auswirkungen auf die Betroffenen. Obdachlosenmagazine wie Hinz und Kunzt bieten Einblicke in die Angst der Menschen im Bürgergeldbezug vor dem weiteren Abstieg.
Und wenn wir Betroffenen aufmerksam zugehört haben, ist es an der Zeit, laut zu werden. Briefe an Politiker:innen zu schreiben. Uns Organisationen wie den Omas gegen Rechts anzuschließen. Auf Portalen wie Demokrateam nach Demos in unserer Nähe zu suchen, eventuell selbst Demos anzumelden. Letzteres ist deutlich weniger kompliziert als viele denken mögen,
Wer sich von all den erdrückenden Nachrichten überfordert fühlt, kann nebenbei bewusst Gute Nachrichten abonnieren. Auf deutsch helfen die PsychologistsForFuture und Martin Oetting (YouTube-Link) auf dem Weg zurück in die Selbstwirksamkeit. Aktuell folge ich außerdem den Videos des Ripple Effect Institutes (YouTube-Link) um Klarheit und Motivation zu finden.
Wenn du weitere konstruktive Wege heraus aus der Spaltung und Überforderung und zurück in eine zielgerichtete und solidarische Gemeinschaft weißt, schreibe sie gerne als Kommentar unter diesen Beitrag.
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