Diese Geschichte zum Neujahr schlummerte in einem Ordner auf meinem Computer. Hoffentlich macht sie dir ein bisschen Freude. Auf meinem englischen Blog gibt es noch ein paar weitere Kurzgeschichten.
Fjodor Klingeling
Ich saß am Küchenfenster und guckte nach draußen. Es war Neujahr und draußen lagen noch ein paar Raketenreste und Sektflaschenscherben. Mein Kopf fühlte sich nach der viel zu kurzen Nacht etwas pappig an, hungrig war ich aber ehrlich gesagt noch nicht. Plötzlich schepperte ein klitzekleines Glöckchen und vor meiner Nase schwebte ein klitzekleines Männchen. Es schien über die Feiertage, milde gesagt, auch kulinarisch nicht zu kurz gekommen zu sein und trug mit mittelprächtiger Souveränität einen eng anliegenden grünen Anzug mit spitzen Stiefelchen und Hütchen. Seine Flügel wirkten ein bisschen wie gebraucht gekauft, aber die Art, wie er sich vor mir bebend über seine volle Körperlänge hinaus reckte, machte das fast wieder wett. Fast.
„Frohes Neues Jahr!!! Und taddah: Du hast einen Wunsch frei!!!“ tönte er.
„Wer bist du denn?“
„Fjodor Klingeling. Und ein Wunschelf… Und Du hast einen Wunsch frei!!!“
„Nur einen Wunsch?“
„Ja, nur einen. Sparmaßnahme. Immerhin, Wunsch ist Wunsch. Und bevor Du jetzt etwas sagst: Stell Dir mal vor, wie gut es tut, anderen eine Freude zu machen. Ich würde mich extrem über ein paar anständige Flügel freuen.“ Hoffnungsvoll hoppelnd zwinkerte er mir zu. „Na, wie wär’s?“
Ich starrte ihn ein paar Sekunden lang an, bis er das Hoppeln wieder einstellte.
„War einen Versuch wert.“
„Na okay, also dann… Ich wünsche mir Weltfrieden.“
Fjodor zuckte zusammen. „Kann ich nicht.“
„Kannst Du die Klimakrise stoppen?“
„Nö.“ Er wurde merklich kleiner.
„Kannst Du dafür sorgen, dass alle Miesepeter netter werden?“
„Auch nicht.“
„Was kannst Du denn?“
„Haare flauschiger, Zähne gerade, Winterspeck weg, so aus dem Bereich eine ganze Menge. Oder kurze Flugreisen.“
„Wie kurz?“
„Belgien?“
Ich sah ihn sehr ernst an. „Kurzflüge sind sowieso eine ganz schlechte Idee, das weiß Du, oder?“
„Ich lege auch einen Atmosfairgutschein obendrauf. Die pflanzen Bäume gegen das CO2.“
Mir kam hier das eine oder andere doch relativ merkwürdig vor: „Sag mal, was ist das eigentlich für ein sehr spezielles Wunschsortiment?“
Jetzt sackten Fjodors kleine Schulter komplett ab. „Ich muss erst mal Punkte sammeln. Für jede zufriedenstellende Wunscherfüllung gibt es Punkte. Und je nach Level kann ich irgendwann auch größere Wünsche erfüllen.“
„Wie lange machst Du das denn schon, so als Wunschelf?“
Fjodor schniefte ein bisschen. „Ich habe erst vor kurzem umgeschult. Vorher war ich als Kobold tätig, aber das war überhaupt nicht mein Ding. Wir sind als Trupp in ein Haus rein und haben Unsinn gemacht. Blumentöpfe verschoben und Bücher falsch rum ins Regal gestellt, sowas. Ich bin immer irgendwie als letzter im Zimmer gewesen und ziemlich jedesmal war irgendwie die Tür zu und ich wurde erwischt und es gab amtlich Ärger. Die anderen Kobolde fanden das jedes Mal superlustig. Aber irgendwann reichte es mir. Ich wollte dann was anderes machen. Was soziales. Wo ich anderen helfen kann.“
Die kleinen Hängeohren und Knopfaugen gingen mir echt ans Herz. „Na gut, weißt Du was? Ich nehme dann bitte die flauschigen Haare.“
„Echt jetzt?“
„Echt jetzt. Na, mach schon!“
Fjodor wirbelte kompliziert mit seinen Händen durch die Luft. Ich hatte den Verdacht, dass er da mehr Show machte, als grundsätzlich nötig. Als ich gerade soweit war, zu glauben, ich sei hier einem schwer verschwurbelten Koboldstreich aufgesessen, prickelte es auf meiner Kopfhaut. Ich fühlte nach.
„Wow!!!“
Fjodor platzte fast vor Stolz. „Da habe ich auch ein Weilchen dran geübt. Im Wald. Das Leben dieser Wildschweine wird nie wieder sein wie vorher.“ Er lächelte versonnen, kratzte sich dann schüchtern an der Schulter. „So, jetzt bräuchte ich Dir noch eine Zufriedenheitsbestätigung. Ein Daumenabdruck reicht.“ Fjodor kramte einen kleinen Block raus und blätterte zur ersten leeren Seite. Er musste nicht sehr weit blättern. Als er mir den Block entgegenstreckte, drückte ich meinen Daumen auf das Papier.
Fjodor strahlte. „War mir ein Vergnügen! Bis irgendwann mal!“ Die kleine Glocke schepperte wieder und er verschwand mit einem glücklichen Quietschen. In der Luft lag ein Hauch von Vanille und Schwarzpulver.
Ich strich mir mit der Hand durch die flauschigen Haare. Wahnsinn. Das neue Jahr konnte kommen.
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