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Gendersprache: Ein Photo von einem Stück Papier, darauf ist ein Sternchen, dahinter steht geschrieben "innen"

Gendersprache? Meine Meinung dazu!

Wie stehst du zur Gendersprache? Was hältst du von Lastenrädern? Wie siehst du die Frauenquote? Was ist deine Meinung zu veganen Würstchen? Wie sollten wir mit Menschen umgehen, die Bürgergeld beziehen? Und was meinst du zum Tempolimit?

Alle diese Fragen haben ein paar Gemeinsamkeiten. Sie…

  • polarisieren
  • … erzeugen bei vielen von uns starke Emotionen
  • … zielen auf Identitätszugehörigkeiten ab
  • nützen Populist:innen

Wo ist das Problem?

Die aufkommenden Emotionen sind echt. Und gleichzeitig oder sogar genau deswegen überschätzen wir die Bedeutung dieser Fragen. Frage dich selbst, wie sehr auf einer Skala von 0 bis 100 deine alltäglichen Probleme und Belastungen auf Pronomen zurück gehen. Oder darauf, ob jemand pflanzliche Produkte isst. Wie viele Euro kosten falsche Angaben beim Bürgergeld den deutschen Staat?

Ein paar geschätzte Kostenpunkte für den deutschen Staat im Vergleich:

Dagegen:

Viele unserer gesellschaftlichen Probleme (Bildungsmisere, Gesundheitssystem, Wohnungsnot) wären mit mehr Geld in der Staatskasse leichter zu lösen. Die Prioritäten, die wir bei Diskussionsthemen setzen, sind aber leider alles andere als zielführend.

Die endlosen Debatten um nicht-existenzielle Themen lenken uns ab. Sie binden Zeit und Energie, die dann dringend an anderer Stelle fehlen. Sie ziehen uns auch durch die Polarisierung unnötig emotional herunter, was zusätzliche Energie kostet.

Und: Sie entscheiden Wahlen. Aktuell gerade in den USA zu beobachten. Und die gleichen Mechanismen greifen überall.

Was ist meine Haltung zur Gendersprache?

Das Stöckchen wirkt auch bei mir. Ich habe selbst zwei Blogartikel zum Thema geschrieben: „Streit um Sprache“ und „Sprachen ändern sich“. Offensichtlich ist der Genderstern ein beliebter Aufhänger für Blogparaden. Und ich fühle mich davon mit angesprochen, habe das Bedürfnis, mich zu äußern.

In beiden Beiträgen war mir die Haltung wichtiger als das eigentliche Gendern. Ich wünsche mir in diesem Zusammenhang, dass wir nachsichtiger miteinander umgehen, egal was wir jeweils von Sprachveränderungen halten.

Und gleichzeitig ist dies definitiv mein letzter Beitrag zum Gendern. Weil diese endlose Debatte meistens nur darin besteht, dass verschiedene Menschen ihren Standpunkt präsentieren und sich im Idealfall gegenseitig akzeptieren. Im nicht idealen Fall gehen sie auseinander, bestätigt in der Haltung, dass mit der anderen Person ja nicht zu reden sei.

Ich will mich nicht mehr daran beteiligen, wenn wir Menschen Zeit und Energie für im Vergleich wenig bedeutsame Debatten verpulvern. Ich will diese Polarisierung nicht mehr mit befeuern. Nicht im Zusammenhang mit Gendersprache und nicht bei all den anderen Stöckchen.

Was hat das Tempolimit mit dem Tetralemma zu tun?

Im Coaching gibt es ein wirkungsvolles Format für scheinbar polare Fragen. Beim sogenannten Tetralemma führt der Weg zuerst in die „Eine“ Haltung, dann in die „Andere“. Im nächsten Schritt werden Gemeinsamkeiten betrachtet („Sowohl als auch“), danach erlebt der/die Coachee eine Haltung außerhalb der Polarität („Weder noch“) und eventuell noch eine Position einen Schritt weiter entfernt („Und auch das nicht“).

Das Ergebnis ist ein Gefühl der Befreiung und Erleichterung. Wenn wir glauben, wir müssten uns zwischen zwei Optionen entscheiden, sind wir eingeengt. Eine Metabetrachtung lockert das Denken und auch das Fühlen. Sie macht wieder handlungsfähig, genau das, was wir eigentlich mehr denn je bräuchten.

Wieso diskutieren wir über Gendersprache?

Diese Debatten nützen Populist:innen. In einer Vorlesung erklärte Bernie Sanders 2003, wie es die Republikaner schaffen, gewählt zu werden. Deren politische Ziele sind nicht im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung. Und auch nicht populär: Steuererleichterungen für Reiche, Abtreibungsverbote, Senkung des Mindestlohns, weniger Zugang zu bezahlbarer Gesundheitsversorgung. Welche Strategie wählen sie? Sie streuen Themen, die die Bevölkerung spalten: Rechte für marginalisierte Gruppen, Waffenbesitz, heute auch LGBTQI+.

Die Strategie heißt „Teile und herrsche“ und ist so alt wie wirkungsvoll. Und sie funktioniert mit den oben aufgelisteten Themen genauso auch in Deutschland. Jede Nation hat ihre passenden Polaritätsangebote, obwohl es auch viele Überschneidungen gibt. Populist:innen sind global gut vernetzt und lernen voneinander. Wer sich nicht länger von existenziellen Fragen ablenken lassen will, sollte genauso daraus lernen.

Alternative Fragen

Wir können weiterhin die gleichen Fragen stellen. „Wie stehst du zur Gendersprache?“ und „Was meinst du zu veganen Würstchen?“

Weiter bringen uns allerdings Fragen wie:

  • Wer bringt das jeweilige polarisierende Thema besonders häufig in der öffentlichen Debatte auf?
  • Wie gut vertritt diese Person bzw. die Organisation/Partei dahinter die Interessen der Mehrheit?
  • Was sind die grundsätzlichen Forderungen dieser Person und wie populär sind diese?
  • Welche Themen werden vor Wahlen extrem oft besprochen und verschwinden danach fast sofort aus dem Bewusstsein?
  • Welche Interessen haben wir als Gesellschaft und wie gründlich werden diese besprochen?
  • Wenn mich ein Thema spontan emotionalisiert, warum ist das so?
  • Kann ich für einen Moment innehalten und die Absicht hinter der Nennung des Themas hinterfragen?
  • Welche Interessen habe ich mit Menschen gemeinsam, die bei einem oder mehreren dieser (scheinbar) polarisierenden Themen einen anderen Standpunkt haben?
  • Welche Gruppierung will sich wirklich in mein Leben einmischen?
  • Welche Gruppierung will wirklich Verbote durchsetzen oder macht das sogar schon konkret?

Mein abschließendes Statement

Die USA haben gerade gewählt. Gerade weil wir dort gesehen haben, wie die Mehrheit nachweislich gegen ihre eigenen Überzeugungen gewählt hat, habe ich Wünsche für mein eigenes Land und die Zukunft.

Noch einmal, weil es mir wichtig ist: Die Emotionen, die wir bei diesen Themenfühlen, sind real. Die Bedürfnisse nach Identität und Zugehörigkeit sind für uns Menschen essenziell. Ich kann und möchte niemandem einen Vorwurf machen, wenn sie die Polarisationsangebote aufgreifen und darüber sprechen oder schreiben.

Und gleichzeitig ist die Frage nach Gendersprache eher ein Thema für die Soziologie und die Linguistik, als dass wir in unserem Alltag davon beeinträchtigt würden. Gleichzeitig richten wir zu wenig Energie, Zeit und Aufmerksamkeit auf das, was uns als Menschheit wirklich bedroht.

Ich wünsche mir, dass wir unsere Prioritäten neu sortieren. Dass wir Populist:innen nicht gestatten, unsere Debatten zu kontrollieren. Dass wir uns nicht weiter auseinander treiben lassen, sondern stattdessen nachsichtiger und solidarischer miteinander werden. Denn auch Kooperation war für uns Menschen ein Evolutionsvorteil.

In meiner idealen Vorstellung ist es okay, wenn jemand Lastenräder nicht mag. Weil das grundsätzliche Miteinander davon nicht abhängt, sondern von der Frage, was uns gemeinsam wirklich voran bringt. Ich wünsche mir für uns alle die Freiheit und Handlungsfähigkeit, die sich durch das Tetralemma einstellt.


Wie schätzt du das ablenkende Potential der Diskussionen über Tempolimit und Co ein?

Welche Themen möchtest du gerne in der öffentlichen Debatte sehen?

Was können wir tun, damit wir miteinander konstruktiver in Beziehung kommen?


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