Startseite » Was ich nicht weiß
Nahhaufnahme einer Frau, im Hintergrund unscharf ein Periodensystem als Wandposter.

Was ich nicht weiß

Es gibt zum Wissen auffallend viele Sprüche. Was ich nicht weiß, macht mich zum Beispiel angeblich nicht heiß. Insgesamt ist das Thema (Nicht)-Wissen erfrischend paradox. Daher hatte ich Susanne Wagners Blogparade zum Nicht-Wissen auch mit auf dem Entwürfestapel 🙂

Die Macht und das Universum

Die Welt ist unfassbar groß. So liegt es in der Natur der Sache, dass anteilsmäßig das überwiegt, was wir nicht wissen. Vieles werden wir sogar niemals wissen können. Das wenige, was wir dann allerdings doch herausgefunden haben, oder wenigstens glauben zu wissen, verleiht uns, tatsächlich oder scheinbar, Einfluss und Kontrolle. Über Situationen, die Natur, uns oder andere Menschen.

In meiner Wortwahl zeichnet es sich schon ab: Dieses Gefühl vom Informiertsein und der Sicherheit ist gar nicht so selten nur Illusion. Je nach Gemütslage gab und gibt es Menschen, die das Nichtwissen und die Unsicherheit eher locker nehmen:

Wissen ist Macht. Wir wissen nichts. Macht nichts.

Sponti-Spruch

Die Spontis wirkten mit ihren Sprüchen unernst, auch wenn deren Bedeutung meist gar nicht so trivial ist. Etwas weniger flapsig wird dieser Gedanke Sokrates zugeschrieben:

Ich weiß, dass ich nicht weiß.

Aus Platon: Apologie des Sokrates

Dabei geht es nicht darum, dass er vor sich her trug, wie ungebildet er im Faktenwissen über die Welt war. Er war sich allerdings mehr als andere um ihn herum darüber bewusst, wie wenig Gewissheit er in eher „weichen“ Fragen um Gut und Böse hatte. Von dieser Haltung könnten wir heutzutage immer noch profitieren.

Wenn wir nicht mehr annehmen, in den meisten Bereichen die ultimative Weisheit erlangt zu haben, können wir mit anderen wieder ganz anders in Beziehung treten.

Und dann stellt sich auch die Frage um Macht ganz anders.

Was ist Wissen überhaupt?

Wie schon angedeutet gibt es unterschiedliche Kategorien von dem, was wir „wissen“ können. Es gibt fundamentale und theoretisch ermittelbare Grundsätze des Universums. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse werden selten komplett auf den Kopf gestellt, sondern eher erweitert oder neu angepasst. Aber selbst in Fächern wie der Physik kommt es vor, dass wir feststellen, dass die Dinge anders sind als wir lange Zeit gedacht hatten.

In solchen Situationen zeigt sich die Stärke der wissenschaftlichen Methode. Die Unsicherheit und die Demut vor dem, was ich nicht weiß, ist (im Ideal) im Vorgehen schon mit eingebaut. Grundlegender Baustein der wissenschaftlichen Methode ist die Bereitschaft, bei neuen Ergebnissen, die bisherigen Hypothesen widersprechen, altes „Wissen“ zu verwerfen und neue Hypothesen aufzustellen. Immer mit der Haltung, dass der neue Kenntnisstand nicht auf alle Zeit absolut gelten muss. Und gleichzeitig so konkret und verlässlich, dass wir damit bisherige Beobachtungen erklären können.

Und dann gibt es deutlich unkonkretere Weisheiten, die sich nicht in Zahlen und Formeln ausdrücken lassen. Von denen wir aber oft glauben, über sie sehr genau Bescheid zu wissen. Wie schön ein Musikstück ist. Welche Eigenschaften jemand aus einer bestimmten Personengruppe hat. Wie ich mich in einem gegebenen Zusammenhang zu verhalten habe. Auf welche Weise Menschen ihren Körper zu gestalten haben. Wie die nicht messbare sehr kleine und sehr große Welt strukturiert ist. Was nach dem Tod kommt und wer welchen Plan für uns hat.

Um diese Arten von „Wissen“ gibt und gab es größere und kleinere Meinungsverschiedenheiten. Fast scheint es, als wäre die größere Ungewissheit und die geringere Messbarkeit Anlass dafür, aus diesen Dingen eine besonders große Sicherheit zu ziehen. Oder anders betrachtet könnte die größere Unschärfe erfordern, dass wir umso vehementer an diesem Wissen festhalten.

Wie erlebe ich Nichtwissen?

Mich persönlich motiviert einerseits die riesige Menge Wissen in der Welt. Diese Fakten und Erkenntnisse warten nur darauf, dass ich sie lerne, denn Lernen ist echt krass 😉 Alleine der Prozess, mir Wissen anzueignen, ist für mich erfüllend. Und da draußen ist dieser praktisch unerschöpfliche Vorrat an Wissenswertem. Er steht mir wie eine Art Raum zur Verfügung, damit ich mich darin ausbreite.

Gleichzeitig steckt in der Erfüllung auch die Kehrseite: Ein Gehirn hat nur begrenzte Aufnahmekapazität und ein Leben nur begrenzt Zeit. Ich kann also beim besten Willen niemals alles lernen, geschweige denn wissen. Nicht einmal alles das, was mich interessiert.

In diesem Spannungsfeld treffe ich Entscheidungen. Ich stehe zwischen Wissensbegeisterung, dem Wissen darum, was ich nicht weiß und um meine eigene Begrenztheit. Dabei kann ich nur die Entscheidung treffen, was ich wissen will und wie ich mit meinem Nichtwissen umgehe. Vermutlich wird das Wissen bis zum Ende meines Lebens die Karotte vor meiner Nase sein, und was soll ich sagen? Ich freue mich darüber.

In Gesellschaft anderer ist für mich dagegen das, was ich nicht weiß, oft verunsichernd. Besonders dann, wenn mir gegenüber jemand einen Wissensvorsprung zu haben scheint. In diesem scheinbaren Machtgefälle braucht es von dieser Person nur ein paar Worte und ein Teil meines inneren Teams geht in die innere Konfrontationshaltung. Es kommt dann für meine Stimmung letztlich darauf an, ob ich auf diese Person irgendwie angewiesen bin. Macht vielleicht doch was? Zum Glück gibt es im Team meiner Persönlichkeiten auch diejenigen, die die Sache gelassener sehen.

Was ich nicht weiß als Sprungbrett

In meiner Tätigkeit als Nachhilfelehrerin gehört es zum Alltag, dass jemand sagt, dass er oder sie etwas nicht weiß. Ich bin eine große Freundin von Fragen, egal wie kleinteilig oder auf welchem „Niveau“. Wie soll jemand effektiv lernen, wenn Fragen abgewimmelt werden? Auch das Nichtwissen meiner Schüler:innen sehe ich als Anlass, sie dabei zu begleiten, wenn sie Freude am Lernen erleben.

Manchmal fragen sie mich, wie sie sich vorbereiten sollen, damit sie den kompletten Lernstoff auf Lager haben. Dann wiederhole ich immer wieder, dass es gar nicht möglich ist, sich auf jede Frage vorzubereiten. Und dass das auch gar nicht Ziel der Sache ist, besonders nicht in mündlichen Prüfungen. Sondern, dass es darum geht zu zeigen, dass sie einen Überblick haben, ein grundsätzliches Verständnis vom Fach. Und dass sie in einem Gespräch mit den Prüfer:innen Antworten entwickeln können, die sie vorher nicht automatisiert gelernt hatten. Ganz schön viel Metawissen! Dabei tendieren wir Menschen doch eher dazu, Fakten zu hamstern und uns daraus ein Gefühl der Sicherheit aufzubauen 😉

An der Stelle ergibt sich meine Aufgabe. Ich vermittele nicht nur Fakten, sondern im Rahmen unserer gemeinsamen Möglichkeiten auch die Haltung zum Wissen, zum Nichtwissen und zu uns selbst. Die Erkenntnis, etwas nicht zu wissen, ist dann kein Urteil über die eigenen mangelnden Kompetenzen. Sie ist im besten Fall Motivation, über das jeweilige Fach, über das Leben und über Paradoxien dazu zu lernen.

Alternative Wahrheiten

Ich wünschte, wir Menschen wären uns häufiger über unser Nichtwissen bewusst. Gleichzeitig wünschte ich, mehr Menschen würden sich um mehr konkrete naturwissenschaftliche Kenntnisse bemühen. Als Physik/Chemie-Lehrerin war ich spürbar weniger populär als Sportlehrkräfte. Und das lag nicht nur an meiner Persönlichkeit 😉 NaWi ist traditionell ein bisschen uncooler.

Gerade bei den aktuellen Krisen führen gefühlte Fakten und (noch schlimmer) Fake News dazu, dass wir nicht schnell genug und nicht angemessen handeln. Teils kommen diese Misinformationen von Menschen, die sich einfach nicht gerne ändern möchten, oder die eine grundsätzliche Skepsis gegenüber den etablierten (Natur)Wissenschaften haben.

Teils kommen sie auch als gezielte und wohlüberlegte Desinformation aus Think Tanks der unterschiedlichen Lobbyorganisationen. Wie sollen wir aus dieser verworrenen Lage herauskommen? Was hilft uns, dochh noch das Nötige für eine lebenswerte Zukunft kommender Generationen tun sollen? Da bin ich auch überfragt.

Was ich nicht weiß, ist komplex

Mich hat das Thema dieser Blogparade spontan fasziniert und ich wusste, dass ich darüber schreiben wollte. Bei über hundert Blogparaden musste ich mich beschränken, denn auch dafür ist meine Zeit begrenzt.

Von der Antike bis zur Zeit von Social Media und KI zieht sich der Wunsch nach Wissen wie ein roter Faden durch die Geschichte der Menschheit. Genauso wie das scheinbare Scheitern an dem, was wir aus verschiedenen Gründen nicht wissen können,

Von meinem überschaubaren Alltag als Begleiterin beim Wissenserwerb und als begeisterte Lernerin und Nichtwisserin bis zu meinem Frust über den Umgang mit vorhandenen Daten über akute Krisen erlebe auch ich das Nichtwissen in einem Spannungsfeld zwischen Antrieb und Ärgernis. Am Ende ist es wohl eine weitere Gelegenheit, mein Verhältnis zur Gleichzeitigkeit zu üben 🙂

Wie siehst du das?

Wie ist es für dich, wenn du Dinge nicht weißt oder wenn wir Menschen Wissen ignorieren? Oder wenn wir nur meinen, etwas zu wissen, nur um darauf umso solider zu beharren?

Und ist Wissen nun Macht oder macht es nichts, nichts zu wissen?


Beitrag veröffentlicht am

in

, , ,

Kommentare

5 Antworten zu „Was ich nicht weiß“

  1. Liebe Angela
    «Ich wünschte, wir Menschen wären uns häufiger über unser Nichtwissen bewusst.» Das finde ich auch …

    Ich danke dir herzlich für deinen spannenden Artikel zu meiner Blogparade #NichtWissen! Es beeindruckt mich, wie du Nichtwissen als Sprungbrett lebst, Gewissheiten differenzierst und mit Menschen aus dem Spannungsfeld von Wissensmachtgefälle und Wissensbegeisterung arbeitest.

    Ich wünsche dir viel Geduld und Vertrauen, zwischen Antrieb und Ärgernis dein Verhältnis zur Gleichzeitigkeit zu üben.

    (Un-)wissende Hasengrüsse
    von Susanne

    1. Vielen Dank, liebe Susanne! Das Thema war eine tolle Anregung!
      Liebe Grüße
      Angela

  2. […] Hier findest du Katharinas Beitrag ▶ Nichtwissen in der Schwangerschaft und zur Geburtsvorbereitung […]

  3. Hallo Angela, bin durch die Blogparade auf dich aufmerksam geworden und habe mich gleich in deinen Blog verliebt. Habe gleich mehrere Artikel gelesen und es sehr genossen. Wir haben einige Gemeinsamkeiten: Sience Fiction, viele Interessen, Spaß am Lernen, Glinde… um nur mal ein paar Dinge aufzuzählen. 😀

    Ich schau gern wieder vorbei.
    Liebe Grüße aus Glinde
    Sabine

    1. Liebe Sabine,
      und dann noch aus Glinde 😀 Grüße über die Metropole in der Mitte hinweg! Ich freue mich, dass mein Blog dich interessiert und setze dich gleich auch mal auf meine Leseliste!
      Liebe Grüße
      Angela

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Dir hat dieser Beitrag gefallen? Hier findest du weitere aktuelle Artikel:

  • Monatsrückblick Oktober 24
    In meinem Monattsrückblick Oktober 24 erzähle ich über das Aufraffen zu Wanderungen, Klavierkonzerte und über „lebendige“ Dinos.
  • Selbstfürsorge – Sieben Wahrheiten
    Eine meiner Blogkategorien ist „Selbstfürsorge“. Dieser Artikel erklärt, was ich darunter verstehe und welche Missverständnisse daran hängen.
  • Vegan in den Herbst
    Eine Blogparade inspirierte mich zu diesem Artikel über eine Kindheitserinnerung. Und darüber, welches Gericht ich im Herbst gerne in vegan koche.
Cookie Consent mit Real Cookie Banner