Ja zu Deutschland

Selfie von einer Frau mit einem Demoschild. Darauf ein Verbotsschild, bestehend aus einem roten Ring und einem roten Streifen schräg darüber. In dem Verbotsschils ist eine Seitenscheitelfrisur und ein kleiner Schnurrbart angedeutet.

Wer mich kennt, wundert sich vielleicht über diesen Titel. Und doch ist dieses Thema das, was mir zu Gabi Kremeskötters neuer Blogparade eingefallen ist. In meinem Leben habe ich schon zu einigen Dingen und Personen Ja gesagt, seit einigen Jahre übe ich bewusst das Nein-Sagen. Vor ungefähr 23 Jahren habe ich allerdings tatsächlich Ja zu Deutschland gesagt. Und das kam so:

Heimkehr nach meiner Rundreise

Heimkehr im Kleinen

Ich hätte diesen Blogbeitrag auch „Ja zum Kreis Pinneberg“ nennen können, weil ich in Elmshorn geboren wurde, mit zwei Jahren dann umgezogen bin/wurde, und seit 2016 in Halstenbek wohne, also fast wieder am Ausgangspunkt meiner Lebensreise.

Einige Jahre lang verband ich mit dem Kreis Pinneberg hauptsächlich, dass ich auf der A23 schnell hindurchfuhr. Und die Wohnblöcke, die von der Autobahn aus zu sehen sind. Für eine Region im nördlichsten Bundesland sind wir hier ziemlich südlich. Zum Meer ist es relativ weit.

Allerdings macht diese Gegend das durch die vielen Bäume und die Anbindung an den Hamburger Nahverkehr wieder wett. Und wenn ich von der großen Stadt gerade nichts wissen will, ist es hier wirklich plüschig grün. Der Wert meines Jas zum PI wird mir stetig mehr bewusst.

Photo von einem Bach, der zwischen leuchtend grün belaubten Bäumen und Sträuchern hindurch fließt.
Die Düpenau in Schenefeld

Und im Großen

Bei einem Erasmusaufenthalt 1995 verliebte ich mich in Großbritannien. Mit ein paar anderen lieben Menschen zog ich entsprechend schon für meine Diplomarbeit dorthin. Mir gefielen die Landschaft, das Essen, die Kultur, das Fernsehprogramm, die Gärten, das Hobbit-mäßige Lebensgefühl.

Für meine Promotion lebte ich dann in London. Aus meiner Sicht ist das immer noch eine der schönsten und spannendsten Städte der Welt. Ich habe dort viel gelernt und mich auch als Mensch sehr weiter entwickelt. Die Jahre in London waren so lebendig und intensiv, und für eine Zeit lag es nahe, auf Dauer in England zu bleiben. Ich dachte darüber nach, mich als Wissenschaftlerin in einem Museum zu bewerben. Mein Mann hätte sicher in der Arbeitsgruppe an seiner Universität bleiben können.

Und dann entschieden wir uns bewusst für eine Heimkehr nach Deutschland. Es war in meiner Erinnerung hauptsächlich mein Impuls: Ich wollte wieder etwas näher bei meiner Familie sein, mehr das Aufwachsen meiner Nichten und meines Neffen mitverfolgen. Also ging es 2002 zunächst nach Potsdam, später nach Schleswig-Holstein. Und hier bin ich nun. Mit etwas Heimweh nach England und großer Liebe für meinen aktuellen Wohnort.

Was habe ich durch mein Ja verpasst?

Mein Ja war gleichzeitig ein Nein zu einem Weiterleben in England. Und ich habe eine Weile immer ein bisschen parallel im Konjunktiv gelebt. Vor allem, was meinen Beruf angeht: Ich hätte Wissenschaftlerin bleiben können. Wir hätten ein Häuschen in Blackheath kaufen können, bevor die Preise so astronomisch wurden. Lange Zeit war das Heimweh wirklich wehmütig.

Als die Brexit-Abstimmung kam, war ich tieftraurig. Und gleichzeitig war ich erleichtert, dass ich das wenigstens nicht hautnah miterleben musste. Dass ich nicht plötzlich in einem Land aufwachte, indem ich für viele nicht erwünscht war.

Deutlich später realisierten wir, dass sich aus dem, was wir brav in die Kasse der Social Security Britain eingezahlt haben, für uns keinerlei Rentenanspruch ergibt. Merke: Internationale Umzüge können mehr Geld kosten als gedacht.

Was habe ich durch mein Ja gewonnen?

Ja zu den Widersprüchen

Wer eine Reise macht, kommt verändert zurück. Und so habe auch ich seit meiner Rückkehr nach Deutschland einen anderen Blick auf meine Heimat. Zu Anfang meines Lebens hatte ich keine Option, meine Geschichte begann hier ohne mein Zutun. 2002 zog ich bewusst und selbstbestimmt zurück in dieses Land.

Dieses vielfältige und widersprüchliche Land. Mit seinen Burgen und Bauernrepubliken, den Meeren im Norden und Bergen im Süden. Das Land, dessen Meere sogar untereinander noch so unterschiedliche Persönlichkeiten haben. Dieses Land mit seinen vielen Dialekten und offiziellen wie inoffiziellen zusätzlichen Sprachen: Dänisch, Friesisch, Sorbisch, Platt und Romani, dazu die Muttersprachen all der Menschen mit Migrationsgeschichte.

Dieses Land mit seinem Verbund aus Bundesländern, die untereinander in Kultur, Größe, Bevölkerungszahl und -dichte so verschieden sind. Dieses Land mit seiner beeindruckenden wie schrecklichen Geschichte. Dieses Land, das aus seiner Vergangenheit wenigstens zu lernen versucht hat. Mit einem Grundgesetz, das geschaffen wurde, um eine Wiederholung des Grauens bestmöglich zu verhindern.

Ich lebe hier zwischen karnevalslaunigen Frohnaturen und Menschen, für die „Moin“ und „Jo“ eine komplette Konversation darstellt. Ich kann sehr kostengünstig und ohne Bedenken das Wasser aus der Leitung trinken. Das allgemeine Risiko für Leib und Leben ist vergleichsweise gering und bei aller berechtigten Kritik gibt es hier ein Sozialsystem.

Neue Wertschätzung

Dafür habe ich mich entschieden: Für eine Heimkehr in ein Land, in dem viel erfunden wurde, das viel Kultur geschaffen hat. Das sich in vielerlei Hinsicht auch deutlich anders einschätzt, als es von außen wahrgenommen wird, im Positiven wie im Negativen. Das sich manchmal wichtiger nimmt, als es ist.

Ich habe eine neue Wertschätzung gewonnen. Für den struppigen Kreis Pinneberg ohne Meerblick, nicht so metropolig wie Hamburg, nicht so idyllisch wie Nordfriesland. Eine neue Wertschätzung für Deutschland, das vieles verbockt hat und vieles richtig macht. In dem wir Meinungsfreiheit als Ideal anstreben und mehr als zwei Parteien wählen können. In dem wenigstens theoretisch die Freiheit da zu Ende ist, wo die Menschenfeindlichkeit anfängt.

Verschiedene Arten von Ja zu Deutschland

Wer mich kennt, weiß auch, wie wenig ich von Nationalismus und Fahnentümelei halte. Vom grundlosen Stolz auf die zufällige Geburt in einem Land. Und vom Stolz auf Dinge, die andere Menschen geleistet haben, die genauso zufällig im gleichen Land geboren wurden. Als ob mein Geburtsland besser sei als andere und die Menschen hier irgendwie überlegen.

Im Gegenteil: Weil ich mich bewusst zur Heimkehr entschieden habe, ist es mir um so wichtiger, dass Deutschland nicht in die Menschenfeindlichkeit und Überheblichkeit kippt. Dass wir die Vielfalt wertschätzen und den Austausch mit anderen Ländern feiern und fördern.

Die Liebe zu meinem Land lasse ich mir von denjenigen nicht wegnehmen, die es nur für sich alleine haben und andere rauswerfen wollen. Bei allen Widersprüchen lasse ich mir mein Land nicht von denen kaputt machen, die es nicht mit anderen Menschen teilen wollen.

Ja zu Deutschland: Demoschild vor blauem Himmel. Darauf steht: Wir sind die Brandmauer

Mein Ja zu Deutschland ist kein Nein zum Rest der Welt. Im Gegenteil, es ist alles andere als das.

Und das ist genau der Punkt.

Wozu sagst du Ja?

Wozu hast du in deinem Leben schon einmal bewusst Ja gesagt? Und was hast du dafür bezahlt, beziehungsweise dadurch gewonnen?

Bis zum 22. Juni kannst du bei Gabis Blogparade mitmachen, ich bin echt gespannt auf all die anderen Beiträge zu all den anderen Jas 😀


Kommentare

2 Antworten zu „Ja zu Deutschland“

  1. Liebe Andrea,
    ich feiere deinen Beitrag! Herzlichen Dank für deine klare Meinung, dein so bewußtes Ja zu Deutschland, denn du hast dich in außerhalb umgeschaut und dich aktiv zu deiner Rückkehr entschieden.
    Ganz besonders feiere ich auch gerade deinen Artikel, denn er ist der erste zu meiner Blogparade und dann gleich mit so einem bedeutenden Inhalt!
    Und einen dritten Grund, war ich dein Ja zu Deutschland feiere, liegt darin, dass DU als gebürtige Pinnebergerin an der meiner Blogparade, einer ebenfalls gebürtigen PINNEBERGERIN teilgenommen hast:-)

    Drei gute Gründe,
    dreimal DANKE und daher meine herzlichen Grüße in meine Heimatregion 🙂

    Herzlichst Gabi

  2. Liebe Angela,

    ein ganz starker und sehr persönlicher Artikel! Vielen Dank für deine klaren und kraftvollen Worte!
    Ich übe mich auch im Nein-Sagen, aber an dieser Blogparade möchte ich auch teilnehmen 😉 Allerdings muss ich dazu noch ein bisschen nachdenken 😉

    Liebe Grüße
    Sabine

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