Vegane Würstchen – Wo ist das Problem?

Ein Porzellanteller, darauf zwei helle vegane Würstchen, Karottensticks, zwei kleine Laugenbrötchen, Kartoffelsalat und ein Klecks süßer Senf.

Am 8. Oktober 25 fand eine Abstimmung im EU-Parlament statt. Wenn jetzt auch noch die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten dafür stimmt, dürfen Veggie Schnitzel und vegane Würstchen nicht mehr unter diesen Bezeichnungen vermarktet werden, ähnlich wie die Bezeichnungen Milch und Käse für pflanzliche Produkte verboten wurden.

Natürlich darf ich privat meine Mahlzeiten noch genauso nennen wie vorher. Trotzdem ist dieser lang anhaltende Streit bemerkenswert. Wenn auch nicht aus den Gründen, die nur auf den ersten Blick bedeutsam erscheinen.

Geht es überhaupt um die vegane Wurst?

Für Friedrich Merz scheint die Sache klar. In einem Interview mit Caren Miosga sagte er in diesem Zusammenhang:

„Eine Wurst ist eine Wurst. Wurst ist nicht vegan“

Friedrich Merz (Interview mit Caren Miosga, ab 45:50

Als er das sagt, muss er selber lachen. Was ist das auch für ein Argument? Diese Aussage ist eher seine persönliche Meinung als eine hilfreiche Information, die die neue rechtliche Entwicklung plausibel erklärt..

Insgesamt ist das Thema sehr emotional besetzt. Es werden deutlich mehr Befindlichkeiten ausgetauscht als wirklich sachliche Argumente. Und das sollte uns nachdenklich machen. Vor fast einem Jahr schon schrieb ich einen Blogartikel über polarisierende Fragen.

Und an meiner Grundaussage hat sich nichts geändert: Diese Art Fragen soll nicht wichtige Probleme klären, sondern nach dem Motto „Teile und herrsche“ die Bevölkerung beschäftigen. Und viele von uns springen immer noch über die Stöckchen, ob sie nun Tempolimit, Genderstern oder Lastenrad heißen.

Wem nützt das Sprachverbot?

Ziel der neuen Gesetzgebung ist nicht, dass diese Produkte nicht mehr existieren. Es geht um ein reines Sprachverbot. Begriffe sollen nicht mehr verwendet werden dürfen. Dass irgendwann vegane Würstchen oder die Formen als solche verboten werden, halte ich für mehr als unrealistisch.

Die Initiative hinter dem Verbot behauptet selbst, mehr Transparenz für Verbraucher:innen schaffen zu wollen. Allerdings widerspricht sogar eine Stellungnahme der Verbraucherzentrale Bundesverband dieser Behauptung. Aus einer Umfrage von 2022 ergab sich, dass Klarheit dadurch entsteht, dass auf einem pflanzlichen Produkt eindeutig steht, dass es vegan oder vegetarisch ist und der Produktname einen Bezug zum nichtpflanzlichen Vorbild hat.

Nicht einmal das landwirtschaftliche Magazin agrarheute rechnet damit, dass das künftige Sprachverbot mehr als ein „bürokratischer Sieg“ sein wird. Oder dass Menschen deswegen in Zukunft weniger pflanzliche Produkte konsumieren werden.

Die Formulierung „Sieg“ deutet es schon an: Oberflächlich betrachet hoffen Fleischproduzenten zu profitieren. Die vom Sprachverbot betroffenen Betriebe werden Zeit und Kapital in Namensänderungen investieren müssen. Und ein paar Verbraucher:innen lassen sich vielleicht von Phatasienamen wie „Veganrolle“ oder guten alten Bezeichnungen wie „Veggie-Bratling“ abschrecken.

Auch die Organisation Foodwatch sieht die Entscheidung des EU-Parlamentes als Geschenk an eine Industriesparte:

„Unter dem Vorwand des Verbraucherschutzes will die EU vertraute Begriffe wie Tofuwürstchen oder Seitanschnitzel verbieten – das ist nicht Verbraucherschutz, das ist Lobbyismus im Dienste der Fleischindustrie“

Dr. Chris Methmann, Geschäftsführer von foodwatch Deutschland

Scheindebatten sind das Problem

Bis auf die Umstellungskosten für die betroffenen Firmen wird sich also sehr wahrscheinlich nur wenig ändern. Die einen werden weiter vegane Würstchen essen, die anderen nicht. Es wird weiterhin Energie und Zeit in genauso fruchtlose wie endlose Debatten um die Sinnhaftigkeit verschiedener Lebensentwürfe geben.

Und genau diese Scheindebatten sind der größte Haken an diesem neuen Sprachverbot. Uns brechen an mehreren Ecken und Enden die Lebensgrundlagen weg. Der Wohlstand ist immer ungleicher verteilt. Mit der KI-Blase drehen wir den Durchsatz von Wasser und elektrischer Energie erst so richtig auf.

Aber wir lassen uns vom Streit um das vegane Würstchen ablenken. Und die politischen Profiteure bauen ein Land nach dem anderen in Autokratien um. Ich kann nicht in Worte fassen, wie sehr mich das frustriert.

Was können wir tun?

Das Beste gegen solche Nebelkerzen ist eine möglichst gut informierte Bevölkerung. Die unabhängigen Organisationen FragDenStaat und LobbyControl machen den Einfluss von Lobbygruppen auf unsere Parlamente transparent. Ihnen zu folgen, ihre Informationen zu teilen und sie zu unterstützen ist ein erster guter Schritt.

Der zweite Schritt wäre es, in den immer wiederkehrenden Scheindebatten so oft und so nachdrücklich wie möglich auf die Meta-Ebene zu wechseln. Unsere Energie und Zeit dort nicht zu verpulvern, sondern an Ort und Stelle darauf hinzuweisen, wem wir da gerade auf den Leim zu gehen drohen.

Es sind also weder das vegane Würstchen noch das Sprachverbot an sich das Problem, sondern die politische Manipulationsstrategie dahinter.


Frustrieren dich diese Nebelkerzen und Scheindebatten auch so sehr? Welche Ideen hast du noch, um ihnen entgegen zu treten?

Fediverse reactions

Kommentare

8 Antworten zu „Vegane Würstchen – Wo ist das Problem?“

    1. Danke dir fürs Lesen! Mir hat das echt unter den Nägeln gebrannt. Wenn jemand glaubt, ich esse keine veganen Würstchen mehr, weil die dann irgendwie anders heißen, kennen sie mich aber schlecht 😀

      Aber wie gesagt, diese ewigen Ablenkungsmanöver hängen mir sehr zum Hals raus inzwischen, weil sich ja die globale Lage eher zuspitzt als dass etwas besser wird. Und wir verbieten Tofuburger, aber echt. Was da an Geld auch für die parlamentarische Arbeit verpulvert ist, das kommt noch oben drauf.

      Bin bisschen auf Zinne, weiß nicht, ob es auffällt 😉

  1. Um deine Zitate aufzugreifen: Meint Herr Merz eine Wurst aus Rind-, Geflügel- oder Schweinefleisch? Herr Methmann ist da schon konkreter und sagt, dass es sich um eine Wurst aus Tofu oder ein Schnitzel aus Seitan handelt.

    Gut, der geneigte Endgegner könnte jetzt argumentieren, dass es sich in beiden Fällen um Allergene handelt und sie deshalb genannt werden müssen. Aber scheinbar muss heutzutage alles und jedes genau betitelt werden. Deshalb kann die Wurst nicht mehr einfach Wurst sein, sondern muss genau angeben, aus welchem Tier sie gemacht wurde – was Herr Merz nicht tat.

    Wurst ist halt nicht gleich Wurst, oder doch?

    1. (Btw: Denke ich auch, dass wir andere Dinge politisch debattieren sollten, als Begriffe für Würstchen)

      1. Ich würde mir echt wünschen, es wäre nicht so leicht, unsere Gesellschaft zu spalten.
        Danke fürs Lesen und liebe Grüße
        Angela

    2. Bei veganer Wurst steht ja tatsächlich dabei, welches Protein drin ist. Meine Mutter reagiert zum Beispiel stark auf kleinste Mengen Soja. Ich lesen auch bei mir neuen Produkten immer die Zutatenliste, weil ich inzwischen etwas misstrauisch bin, was die unscharfe Bezeichnung „veggie“ angeht 😉

      Es ist schon ziemlich wild manchmal.

      Liebe Grüße
      Angela

  2. Ich kann gut verstehen, dass der Beitrag herausmusste und mir gehen dazu viele Gedanken durch den Kopf.

    Etymologisch bedeutet „Wurst“ etwas Gedrehtes. Die zwanghafte Verbindung mit einer Fleischmasse kam erst viel später.
    Vor Jahren habe ich bei einer Haushaltsauflösung im Sauerland eine spezielle Keramik gefunden, die zur häuslichen Herstellung von Eierkäse gebraucht wurde, das stand auch in wunderschönen Buchstaben drauf. Als das erfunden wurde, ging es um schlichtes Sattwerden in Zeiten von Lebensmittelknappheit. Die Bezeichnung hat keine Rolle gespielt. Die Speise wurde genossen.

    Für mich stellen solche Begriffsge- oder -verbote auch eine Anleitung dar, das eigene Denken auszulagern. Dabei glaube ich, dass jemand, der lesen kann, durchaus Zusätze, wie Tofu- oder Seitan- versteht und auch die Begriffe „vegan“ oder „vegetarisch“ kennt.
    Wann werden eigentlich die Begriffe „Sonnenmilch“ oder „Reinigungsmilch“ verboten 🤔

    Spannenderweise wird auch in anderen Lebensbereichen Energie in die „korrekte“ Wortwahl gesteckt, anstatt sich auf den gewollten Inhalt im Sinne einer wahren Verständigung zu fokussieren. In intensiven Gesprächen kündige ich oft an „ich sprech mal ins Unreine“ und dann ringen wir gemeinsam um Begriffe, die am ehesten passen, um die Intention auszudrücken, weg von allen Duden und Verboten.

    Jetzt lasse ich das Thema los, lenke meine Energie auf etwas, was mir zuträglich ist und bereite „rohvegane Bratwurst“ nach Markus Rothkranz zu. Das wirklich sehr lustige Video dazu wurde übrigens umbenannt. Mir bleibt es schon wegen des wirklich witzigen Wortspiels in Erinnerung.

    1. Ja, wenn wir alle mit bisschen Nachsicht aufeinander zugehen könnten, das wäre schon schön. Guten Appetit mit der Wurst, ich bin durch das Video mal durchgeskippt und das sah spannend aus!

      Die Weißwurst in meinem Beitragsbild ist tatsächlich auch selbstgemacht, allerdings nicht roh, sondern Seitan 🙂

      Liebe Grüße
      Angela

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